Bus-Port Lindenau: Neuer Heimathafen für E-Bus-Flotte der LVB
von Simone Liss | 29.06.2022
von Simone Liss | 22.02.2022
Er hält die Ideallinie, wird nie müde und sieht gestochen scharf: der VW e-Crafter, der für das Projekt ABSOLUT unterwegs ist. Das Akronym steht für „Automatischer Busshuttle selbstorganisierend zwischen Leipzig und dem BMW-Terminal“. Kurzum: Das Shuttle bewegt sich selbstfahrend von A nach B. Ohne Extraspur, ohne Eingriff des Fahrers – das Shuttle fügt sich einfach in das Verkehrsgeschehen ein. Was vor einigen Jahren noch wie Science-Fiktion anmutete, wird nun auch in Leipzig Realität. Ein Kleinbus, dessen Lenkrad sich wie von Zauberhand dreht und dessen Pedale sich von allein bewegen.
Hinter diesem Wunderwerk steht ein Konsortium von 14 Partnern aus Wirtschaft, Wissenschaft und Kommune eng zusammen. Made in Saxony ist die Botschaft. „Das Know-how in Sachsen ist bemerkenswert. Verkehrsforscher, Fahrzeug – und Softwareentwickler, Spezialisten für Verkehrstelematik, Informatiker und Elektrotechniker – sie alle ziehen im Projekt ABSOLUT an einem Strang. Wir entwickeln, untersuchen und demonstrieren gemeinsam, wie vernetzte, automatisierte Shuttlebusse im suburbanen Raum eingesetzt werden können, um Fahrgäste sicher zu befördern. Die Shuttles sollen in den öffentlichen Nahverkehr integriert werden, sind für den flexiblen 24-Stunden-Betrieb ausgelegt und sollen im späteren Regelbetrieb sieben Tage die Woche verfügbar sein“, sagt Mario Nowack, ABSOLUT-Projektleiter für die LVB.
Die Kombination aus Fahrzeugentwicklung, Leitstellenentwicklung, Vernetzung mit der Infrastruktur, Zulassung für den Betrieb im öffentlichen Verkehrsraum (mit Höchstgeschwindigkeiten bis 70 km/h) sowie die Schaffung einer komfortablen Buchungs- und Kundeninformationsplattform ist ein hochkomplexes und teures Unterfangen – 15 Millionen Euro beträgt das Budget, davon kommen zehn Millionen Euro vom Bundeswirtschaftsministerium.
Das ABSOLUT-Shuttle auf der Neuen Messe.
Es gibt in Deutschland und Europa eine Vielzahl von Demonstrations- und Erprobungsprojekten mit langsam (weniger als 20 km/h) fahrenden, automatisierten Shuttles im Öffentlichen Personennahverkehr (ÖPNV). Jedoch adressieren nur wenige dieser Projekte die technologische Weiterentwicklung zu ÖPNV-tauglichen Geschwindigkeiten (schneller als 50 km/h), um dadurch im Vergleich zum Individualverkehr konkurrenzfähige Reisezeiten zu ermöglichen. Auch die vollumfängliche Einbettung der Fahrzeuge in die ÖPNV-Welt als neue zusätzliche Verkehrsdienstleistung wurde in ABSOLUT gesamtheitlich aus Kundensicht gedacht und als Entwicklungsziel festgeschrieben.
Als erstes Erprobungsfahrzeug der „Generation ABSOLUT“ geht nun der fertig umgebaute und für automatisiertes Fahren ertüchtigte VW e-Crafter auf die Teststrecke. Sie ist knapp sieben Kilometer lang und führt vom S-Bahnhof „Messe“ zum BMW Werk. Der Leipziger Nordrand ist dafür ein ideales Testfeld: Vielfältige Verkehrssituationen – von langsamen, mit Fußgängern geteilten Zonen über mehrspurigen Stadtverkehr bis hin zu Außerorts-Bedingungen – treffen hier zusammen und bilden auf engem Raum eine Vielzahl zu meisternder Fälle ab. Mit insgesamt elf auf der Strecke befindlichen Lichtsignalanlagen kommt auch dem Thema Ertüchtigung von Ampel-Anlagen eine entscheidende Rolle zu. „Wenn die Praxistests Anfang des Jahres erfolgreich abgeschlossen werden, möchten wir in den letzten drei Projektmonaten sogar noch Tests mit ausgewählten Fahrgästen durchführen“, sagt Mario Nowack. Bedenken, ganz allein in einem der Busse zu sitzen, die per App angefordert werden können, müsse aber niemand haben: Für die jetzige Phase werde immer ein „Sicherheitsfahrer“ mit an Bord sein.
ABSOLUT-Projektleiter Mario Nowack im Interview.
Vom Einsatz des Shuttles könnten perspektivisch tausende Angestellte und Kunden profitieren, denn im Norden von Leipzig sind die größten Arbeitgeber der Stadt Zuhause: unter anderem BMW, DHL/Deutsche Post, Flughafen, DB Schenker, Porsche, Messe Leipzig, der Businesspark Seehausen sowie das Einkaufscenter Sachsenpark. Die Achtsitzer sollen rund um die Uhr – also auch außerhalb der Stoßzeiten des Berufsverkehrs – eine gute Verbindung garantieren.
Das unabhängige Forschungsinstitut Center of Automotive Management aus Bergisch-Gladbach (Nordrhein-Westfalen) schätzt den möglichen Umsatz mit solchen taxiähnlichen Diensten im Jahr 2030 weltweit auf bis zu 16 Milliarden Euro. Der Vorteil: Der Einbau der teuren Technik zahlt sich schnell aus, weil die Fahrzeuge fast ohne Unterbrechung auf der Straße sein können und keine Kosten für die Fahrer anfallen. Entsprechend weit ist die Entwicklung der Technik. Von den fünf existierenden Abstufungsschritten – vom rein manuellen bis hin zum vollautonomen Fahren (siehe Hintergrundinfo am Textende) – ist der vierte für Projekte wie ABSOLUT das Ziel.
Mehr als 20 Kameras und Sensoren sorgen für Fahrsicherheit.
Für die mehr als 20 Kameras und Sensoren am Fahrzeug und die Computersysteme im Fahrzeug ist Level 4 eine Herausforderung: Sie müssen lernen, mit allen möglichen Situationen im Straßenverkehr „allein“ klarzukommen. Mit Regelbrechern, die bei Rot über die Kreuzung oder gegen die Fahrtrichtung in eine Einbahnstraße fahren; mit Verkehrsteilnehmern, die Hindernissen ausweichen; mit Schnee, Starkregen und Nebel; mit Tieren, die die Fahrbahn kreuzen; mit Gegenständen, die unvermittelt auf die Fahrbahn fallen; mit Rettungswagen, die den Verkehrsfluss ad hoc unterbrechen. Diesen Herausforderungen stellt sich ABSOLUT.
Diesen Mut und diese Zuversicht honorieren Politik und Wirtschaft. „ABSOLUT hat einen technologischen Meilenstein erreicht, der weit über dieses Projekt hinausreicht und Deutschland beim wichtigen Zukunftsthema automatisiertes Fahren weiter voranbringen wird“, so Christian Liebich, Referent im Bundesministerium für Wirtschaft und Klimaschutz.
ABSOLUT passt auch in die Klimaschutz-Strategie der Stadt Leipzig. „Mit seinen positiven Effekten auf die Leistungsfähigkeit des öffentlichen Personennahverkehrs, die Verkehrssicherheit oder die Klimabilanz kann das Projekt einen großen Beitrag zur Umsetzung der Mobilitätsstrategie leisten“, so Thomas Dienberg, Bürgermeister und Beigeordneter für Stadtentwicklung und Bau der Stadt Leipzig.
Stichwort Verkehrssicherheit: Für den Betrieb der beiden Versuchsfahrzeuge ist im Projekt auch eine neue Leitstelle geschaffen worden, die mit der LVB-Betriebsleitstelle sowie den Mobiltelefonen der Testkunden (Handy-App) verbunden wurde. So wird das Netzwerk rund um die beiden Pilotfahrzeuge dichter. „Mit dem Entwicklungs- und Forschungsprojekt ABSOLUT ist es uns gelungen, zahlreiche Innovationspartner zu vernetzen, um für Kunden effizient Neues auf die Straße zu bringen. Dadurch wollen wir für die Menschen in Leipzig neue Angebote möglich machen und die Leipziger Verkehrswende nachhaltig gestalten“, so Ulf Middelberg, Sprecher der Geschäftsführung der Leipziger Verkehrsbetriebe.
Deutschland ist mit dem Gesetz zum automatisierten Fahren, das 2021 in Kraft getreten ist, weltweit das erste Land, das fahrerlose Kraftfahrzeuge im Regelbetrieb sowie im gesamten nationalen Geltungsbereich erlaubt. Dabei schafft das Gesetz nicht nur die Basis für die Automatisierungsfunktionen, welche lokal im Fahrzeug selbst implementiert werden, sondern ebnet auch den Weg für eine Betreuung des Fahrzeugs im Falle unvorhergesehener Situationen aus der Ferne durch die sogenannte „Technische Aufsicht“. Diese steuert und führt das Fahrzeug allerdings nicht direkt von außen, aber sie gibt dem Fahrzeug nach Bewertung der Situation anhand übertragener Kamerabilder aus der Ferne auszuführende Fahrmanöver vor. Die eigentliche Fahrzeugsteuerung erfolgt dann wieder ausschließlich durch die autonome Fahrfunktion im Fahrzeug selbst.
Autonomes Fahren soll perspektivisch für eine große Zahl von Einsatzszenarien ermöglicht, dabei aber immer örtlich auf einen festgelegten Betriebsbereich begrenzt werden.
Zu den Einsatzszenarien zählen etwa
EASY ApiOmat GmbH, BitCtrl Systems GmbH, BMW Group, DB Schenker, FSD Fahrzeugsystemdaten GmbH, glts-cotech GmbH, INAVET GmbH, IAV GmbH, Leipziger Messe GmbH, Leipziger Verkehrsbetriebe (LVB) GmbH, Sedenius Engineering GmbH, Stadt Leipzig, Technische Universität Dresden, Virtence GmbH.
Level 1: assistiertes Fahren: Spurassistent, Einparkhilfe und ein Tempomat erleichtern das fahren, aber der Mensch trägt jederzeit die volle Verantwortung
Level 2: teilautomatisiertes Fahren: Das Fahrzeug kann beispielsweise selbst überholen. Der Fahrer darf für ein paar Sekunden die Hände vom Lenkrad lassen – haftet aber voll.
Level 3: hochautomatisiertes Fahren: Der Fahrer darf im hochautomatisierten Modus zum Beispiel ein Buch lesen, muss aber stets bereit sein, das Fahrzeug wieder zu lenken.
Level 4: vollautomatisiertes Fahren: Aus dem Fahrer ist auf einfachen Strecken wie der Autobahn ein Passagier geworden. Das Auto darf allein fahren. Der Hersteller haftet.
Level 5: fahrerloses Fahren: Das Fahrzeug beherrscht auch komplexe Situationen in Innenstädten. Es kann ohne Fahrer unterwegs sein, ein Lenkrad ist überflüssig.