Chancengleichheit und Vielfalt im Job: was heißt das?
von Simone Liss | 30.08.2022
von Redaktion | 11.05.2021
Stell dir vor, du stehst an der Bushaltestelle und der Bus kommt nicht, und auch der nächste, übernächste und überübernächste nicht. Angesichts der wenigen Bewerber für den Busbetrieb kein unrealistisches Szenario.
Jörg Marienberg, Leiter Fahrdienst bei den Leipziger Verkehrsbetrieben erklärt: „Ausgebildete Busfahrer, die einen Job suchen, sind schwer zu finden. Die Bewerberzahlen sind in den vergangenen Jahren rückläufig. Es bewerben sich zu wenig junge Menschen für den Beruf des Busfahrers, um die Zahl jener Mitarbeiter, die in den nächsten Jahren in Rente gehen, aufzufangen – dadurch entsteht eine Schieflage. Gleichzeitig steigt durch den Ausbau des öffentlichen Nahverkehrs der Bedarf an qualifizierten Busfahrern.“ Damit die Busse auch weiterhin rollen, gehen die LVB einen besonderen Weg und haben sich Unterstützung aus dem sonnigen Süden Europas geholt. Und so sind aktuell 14 spanische Busfahrerinnen und Busfahrer mit den Leipziger Bussen unterwegs. Doch bis dahin war es ein langer Weg.
Dieser begann mit einem Besuch in Spanien. Hier konnten sich die spanischen Bewerber und eine Handvoll Mitarbeiter aus Fahrschule, Fahrservice und dem Bereich Personal kennenlernen. Um den potenziellen Kollegen einen Eindruck von ihrem möglichen neuen Arbeitsort zu geben, wurden vor Ort Infoveranstaltungen organisiert. „Erst einmal haben wir unsere schöne Stadt und die Arbeit bei den Verkehrsbetrieben vorgestellt. „Die meisten Teilnehmer hatten bisher wenig von Leipzig gehört“, erinnert sich Projektleiter Marienberg. „Nach dem Vortrag haben wir uns in einem kurzen Bewerbergespräch näher kennengelernt, um zu sehen, ob es auf beiden Seiten passt. Danach gab es noch eine Probefahrt.“
So mancher fragt sich vielleicht, was die Bewerber bewegt, nach Leipzig zu kommen. Jörg Marienberg erklärt das so: „Die Arbeitslosigkeit in Spanien ist sehr hoch, gerade unter jungen Leuten. Da bleibt oft nur der Umzug ins Ausland. Darüber, dass der europäische Arbeitsmarkt so durchlässig ist, bin ich sehr froh.“ Aber es sind nicht nur die Jungen, die es wegen des Jobs nach Deutschland zieht. „Die jüngsten spanischen Kollegen sind 28 Jahre, die ältesten haben ihre 50er bereits erreicht“, sagt Marienberg. Nicht alle wollten schon immer Busfahrer werden. Die Andalusierin Nathalia Velásquez hat beispielsweise Psychologie studiert. Für Victor Augusto Torres Navarrete stand der Beruf des Busfahrers dagegen schon relativ früh fest.
Am 7. Januar 2019, ein windiger Tag ohne Sonne, war es dann soweit: Die ersten vier neuen Kollegen aus Spanien wurden in Empfang genommen. Ein paar Tage nach der Ankunft durften die Neu-Leipziger bereits loslegen. Neben einer Einweisung durch die Fahrschule, bekamen die spanischen Kollegen auch einen Sprachkurs durch die externe Sprachschule „Sprache und Wirtschaft“, um ihre Sprachkenntnisse zu verbessern. Anfänglich wurden die neuen Fahrer auf der Linie 70 eingesetzt und später dann auch auf weitere Linien ausgebildet. So konnten sie unsere Stadt und das Liniennetz schrittweise kennenlernen. Eine Fahrerlaubnis und einige Erfahrungen als Busfahrer hatten die Neuankömmlinge bereits.
Auch abseits der Ausbildung, mussten sich die spanischen Kollegen erst einmal an die neue Heimat gewöhnen – fremde Sprache, ungewohnte Umgebung, andere Kultur, abseits von Familie und Freunden – da kommt Einiges zusammen. Ehrensache, dass die Leipziger Verkehrsbetriebe alles taten, um das Ankommen so einfach wie möglich zu gestalten. Unterstützung bekamen sie von Integrationshelferinnen Marta Singla Font und Susana Márquez Galindo. Sie halfen zum Beispiel bei der Wohnungssuche, bei Behördengängen und gaben sprachliche Unterstützung. Außerdem standen einige Leipziger Busfahrerinnen und Busfahrer ihren neuen Kollegen als Compañeros, also Paten, zur Seite.
Mittlerweile haben sich die spanischen Kollegen gut eingelebt. Trotzdem, es ist nicht immer einfach. Fragen wir Jörg Marienberg, was die größte Herausforderung ist, hat er eine klare Antwort: Sprachbarrieren abbauen, die, trotz Sprachkurs, immer noch vorhanden sind. Kein Wunder, bekanntlich ist die deutsche Sprache nicht gerade leicht zu lernen. In Pandemiezeiten ist es außerdem schwierig, neue Kontakte zu „Einheimischen“ zu knüpfen, um das Gelernte praktisch anzuwenden.
Auch auf die deutsche Arbeitskultur müssen sich die spanischen Kollegen erst einmal einstellen. Während Dienstpläne und Urlaube hierzulande in der Regel lange im Voraus geplant werden, geht es in Spanien scheinbar spontaner zu. „Da wird schon mal kurzfristig informiert, dass Urlaub benötigt wird oder auch spontan der Urlaub um ein paar Tage verlängert“, erzählt Marienberg. „Dass das hier so nicht funktioniert, ist für die neuen Kollegen etwas, an das sie sich gewöhnen müssen.“ Trotz aller Unterschiede ist das Miteinander zwischen den Kollegen harmonisch.
Um Sprachbarrieren zu minimieren und die spanischen Busfahrer für den Berufsalltag fit zu machen, haben die LVB ein extra auf die neuen Kollegen abgestimmtes Trainingsprogramm initiiert. „Wichtig war uns, dass das Programm freiwillig ist – schließlich finden die Trainings in der Freizeit statt“, sagt Projektleiter Jörg Marienberg. Fast alle haben das Angebot dankend angenommen. Seit Juli 2020 erhalten die Fahrer nun abwechselnd Sprachunterricht und ein betriebsorientiertes Training. Dabei lernen sie zum Beispiel Anweisungen zu verstehen und zu lesen, was beim Fahrkartenverkauf zu beachten ist und wie sie mit der Verkehrsleitstelle kommunizieren. Letzteres ist besonders wichtig, denn die Leitstelle informiert unter anderem über kurzfristige Linienänderungen oder Umleitungen. Wenn die Fahrer das nicht verstehen, stehen sie womöglich plötzlich vor einer Sperrung und kommen nicht weiter. Für das Trainingsprogramm hat Jörg Marienberg eigens ein Frage-Antwort-Spiel entwickelt, mit dem spielerisch das gelernte Wissen abgefragt wird. Das Programm läuft noch bis Ende Juni. Ob bis dahin alle Sprachbarrieren gefallen sind, bleibt abzuwarten. Feststeht: Die spanischen Busfahrer sind jetzt schon fester Bestandteil im #TeamLeipziger.
In der aktuellen Ausgabe des Leipziger Leben erzählt die 28-jährige Nathalia Velásquez, wie es ihr als spanische Busfahrerin in Leipzig gefällt.