Saubere Sache: So werden bei den LVB Busse und Bahnen gereinigt
von Redaktion | 06.05.2021
von Catrin Kultscher | 13.09.2024
Zwei Jahre lang hat die Historikerin Lilith Günther mit Unterstützung der Leipziger Verkehrsbetriebe für die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig zum Themenkomplex der NS-Zwangsarbeit bei den Leipziger Verkehrsbetrieben recherchiert. Ihre Ergebnisse mahnen uns und erinnern an ein düsteres Kapitel deutscher Geschichte.
Milan S. ist gerade Anfang 20 und lebt in Prag. Im Dezember 1942 bekommt er kurz vor Weihnachten eine Vorladung ins Arbeitsamt in Prag. Da er jung und gesund ist, wird er zum Arbeitsdienst für das Deutsche Reich verpflichtet. Gemeinsam mit ca. 150 anderen Tschechen muss er schon eine Woche später Prag verlassen und fährt mit dem Zug nach Dresden. Das dortige Arbeitsamt schickt sie weiter nach Leipzig.
Tschechischer Zwangsarbeiter am Straßenbahnhof Angerbrücke, um 1942 (Stadtarchiv Leipzig, 0563, Nr. 40799).
Die Leipziger Verkehrsbetriebe brauchen zu der Zeit dringend neue Arbeitskräfte, denn seit Beginn des Krieges ist der Betrieb eigentlich dauerhaft unterbesetzt. Die Männer werden bei ihrer Ankunft gefragt, ob sie deutsch sprechen. Jene, die sich wie Milan auf Deutsch verständigen konnten, sollten nun als Schaffner arbeiten, während die anderen an anderen Stellen des Betriebs eingesetzt wurden – als Gleisarbeiter, Wagenwäscher oder in den Werkstätten.
Milan S. – seine Dokumente finden sich im Archiv des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds in Prag – war einer von etwa 75.000 ausländischen Männern, Frauen und Kindern, die ab 1939 in Leipzig Zwangsarbeit leisten mussten. Das System der NS-Zwangsarbeit bestimmte fast alle Sektoren der auf Krieg ausgerichteten Wirtschaft des Deutschen Reiches, auch jene fernab der Rüstungsindustrie. Häufig werden dabei drei Gruppen unterschieden, je nach Grund der Haft oder Verpflichtung: Die Zwangsarbeit der KZ-Häftlinge und Strafgefangenen, die der Kriegsgefangenen und die der sogenannten zivilen Zwangsarbeiter.
Auch die Leipziger Stadtverwaltung und ihre kommunalen Betriebe waren angewiesen auf das System der NS-Zwangsarbeit, um den Betrieb überhaupt am Laufen zu halten. Der Alltag der Zwangsarbeiter, ihre Lebensumstände und ihre Unterbringung konnte dabei stark variieren. Die im NS-Jargon als „Fremdarbeiter“ bezeichneten ausländischen Zwangsarbeiter wurden je nach Herkunft unterschiedlich behandelt. Dabei hatten Menschen aus Westeuropa etwas mehr „Privilegien“ als polnische und sowjetische Arbeitskräfte.
Lilith Günther recherchiert zu Zwangsarbeit in Leipzig.
Lilith Günther hat sich intensiv mit dem Thema auseinandergesetzt. Dazu hat sie Material im Betriebsarchiv der LVB, im Stadtarchiv und im Staatsarchiv Leipzig, im Bauaktenarchiv Leipzig sowie ausgewählte Bestände der Arolsen Archives und des Archivs des deutsch-tschechischen Zukunftsfonds gesichtet. „Leider sind die Bestände nicht lückenlos überliefert, sodass sich einige Aspekte der Geschichte von NS-Zwangsarbeit bei den LVB immer noch nur fragmentarisch erschließen lassen“, stellt die Historikerin fest.
Fest steht: Milan S. war einer von ca. 200 tschechischen Männern, die von 1942 bis 1945 für die LVB arbeiteten. Günther dazu: „Zu ihrer Geschichte ließ sich in meiner Recherche am meisten herausfinden, die Materialien des Archivs des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds waren dabei besonders wertvoll. Es handelt sich bei ihnen nicht nur um Verwaltungsakten, sondern auch um Berichte der Menschen selbst.“ Die LVB beschäftigten zwischen 1942 und 1945 mehr als 800 sogenannte zivile Zwangsarbeiter, die durch die Arbeitsämter in den besetzten Ländern rekrutiert und vermittelt wurden. Die meisten von ihnen kamen aus dem Protektorat Böhmen und Mähren – dem heutigen Tschechien – aus Belgien, Frankreich oder der Ukraine. Ein Viertel von ihnen waren Frauen. Sie arbeiteten in fast allen Abteilungen der LVB.
Gemeinschaftslager "Alte Brauerei" von außen (Stadtarchiv Leipzig, 0563, Nr. 40801).
Milan S. arbeitete beispielsweise ein halbes Jahr als Schaffner und wurde danach Wagenwäscher. In seiner Zeit in Leipzig wohnte er in einer Sammelunterkunft in der Dieskaustraße, in einem ehemaligen Brauereigebäude, das von den LVB zur Unterbringung ausländischer Arbeitskräfte angemietet worden war. In diesem Lager waren vornehmlich tschechische und belgische Männer untergebracht. Die Kosten für Unterbringung und Verpflegung wurden dabei von ihrem geringen Lohn abgezogen. Sie wohnten gemeinsam in einem großen Raum und schliefen in Etagenbetten.
Milan S. erinnerte sich später: „Sie ‚bauten‘ eine Art Lager in einem etwas abgerissenen Gebäude einer alten Brauerei […] Wir waren etwa 150, alles Studenten, Beamte, Geschäftsleute und weitere […]. Wir wohnten in der alten Brauerei, in einem großen Raum, Doppelstockbetten, Papiersäcke mit irgendeiner Füllung, einfache graue Decken. Im ganzen Riesensaal ein eiserner Ofen, wie es sie früher in den Wartehallen der Eisenbahn gab, aber es war kein Brennstoff da, da wurde alles Mögliche verbrannt. Zum Waschen gab es nur einen Blechtrog. In einem Raum standen sechs Klosetteimer, das war alles.“ (Quelle: Erinnerungen von Milan S., Archiv des Deutsch-Tschechischen Zukunftsfonds, Prag)
Das Lager „Alte Brauerei“ war dabei eine von mindestens elf Sammelunterkünften der LVB. „Durch die Dienstverpflichtung war es Milan S. nicht möglich gewesen, sich seine Arbeit und seinen Arbeitsort auszusuchen“, erklärt Günther. „Es war ihm auch nicht möglich, seine Arbeit zu verlassen. Ob und wie lange Urlaub oder Freizeit möglich waren, ist anhand der Quellen nicht zu beantworten.“ Milan S., der im August 1943 seine Familie in Prag besuchen will, wird an der Grenze verhaftet und zu einer sechstägigen Gefängnisstrafe verurteilt. Danach muss er zurück zu den LVB und kann erst nach Ende des Krieges wieder nach Hause zurückkehren.
Diese und weitere Geschichten finden Sie in unserem Magazin Leipziger Leben: www.L.de/leipziger-leben.
Die Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig erinnert seit 2001 an den Arbeitseinsatz tausender ziviler Zwangsarbeiter, Kriegsgefangener und KZ-Häftlinge während des Zweiten Weltkriegs im Raum Leipzig. Die Gedenkstätte steht als Anlaufstelle für ehemalige Zwangsarbeiter und deren Angehörige zur Verfügung, erforscht noch unbeleuchtete Aspekte des Themas und sammelt historische Zeugnisse. Neben einer Dauerausstellung gibt es öffentliche Veranstaltungen, Führungen, Stadtteilrundgänge und Bildungsangebote.
Gedenkstätte für Zwangsarbeit Leipzig
Permoserstraße 15
04318 Leipzig
Kontakt: 0341 2352075 / info@zwangsarbeit-in-leipzig.de
www.zwangsarbeit-in-leipzig.de
Öffnungszeiten:
Dienstag - Donnerstag: 10 - 18 Uhr
Freitag - Samstag: 11 - 17 Uhr
an Feiertagen geschlossen