17 aus 49: Gewinnzahlen für Leipzig
von Simone Liss | 11.02.2022
von Simone Liss | 12.06.2024
Die Leipziger Gruppe blickt auf ein anspruchsvolles, aber auch erfolgreiches Jahr 2023 zurück: Trotz großer Herausforderungen in ihren Geschäftsbereichen Energie, Mobilität und Wasser konnte sie ihr operatives Ergebnis verbessern. Im Interview erklärt Karsten Rogall, wie das Resultat zustande gekommen ist und was die Leipziger Gruppe erwartet.
Karsten Rogall, Geschäftsführer und Sprecher der Leipziger Gruppe.
Frage: Wie beurteilen Sie das vergangene Geschäftsjahr 2023 für die Leipziger Gruppe?
Karsten Rogall: Ich bin ehrlich gesagt sehr stolz auf die Leistung unserer rund 5.000 Mitarbeiter. Wir haben ein anspruchsvolles Jahr hinter uns. In der gesamten Wirtschaft war die Stimmung 2023 verhalten und geprägt von unterbrochenen Lieferketten, steigenden Zinsen, galoppierenden Bau- und Energiepreisen. Zudem hatte es das Jahr besonders in der Energie- und Mobilitätsbranche aufgrund der vielen überregionalen Regelungen, die lokal umgesetzt werden mussten, in sich. Trotz großer Herausforderungen stieg der Konzernumsatz von 4.160 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 4.469 Millionen Euro im Jahr 2023. Wir konnten unser operatives Ergebnis (EBITDA) verbessern: von 252 Millionen Euro im Jahr 2022 auf 344 Millionen Euro im Jahr 2023. Zudem haben wir mit 368 Millionen Euro (2022: 353 Millionen Euro) erneut verstärkt in die Gestaltung der Leipziger Lebensadern investiert, um vor Ort Versorgungssicherheit und Klimaschutz voranzubringen.
Frage: Stichwort EBITDA: Was steckt hinter diesen sechs Buchstaben, und warum ist das EBITDA der Leipziger Gruppe trotz der angespannten Wirtschaftslage gestiegen?
Karsten Rogall: Der EBITDA-Wert beschreibt den aus der gewöhnlichen Geschäftstätigkeit eines Unternehmens erwirtschafteten Gewinn ohne Berücksichtigung von Zinsen, Steuern und Abschreibungen. Die Steigerung unseres EBITDA ist vor allem auf ein außergewöhnliches Jahr im Energiemarkt zurückzuführen. Unsere Stadtwerke haben – auch mithilfe neuer Anlagen – deutlich mehr Energie selbst erzeugt und diese professionell im Energiegroßhandel verkauft. Auch in den Biomassekraftwerken gab es eine deutliche Ergebnisverbesserung.
Zudem hat der Konzern mit situativem Augenmaß und Weitblick agiert. Dazu gehören auch Verschiebungen von Investitionen in den Bereichen Mobilität und Wasser aufgrund der angespannten Marktlage. Wir haben unter dem Strich erneut kaufmännisch vernünftig gearbeitet, um unseren Investitions-Marathon fortsetzen zu können. Allein in den vergangenen fünf Jahren haben wir rund 1,6 Milliarden Euro in Leipzigs Lebensadern investiert – und unsere Stadt so weiter modernisiert.
Frage: Das heißt: Der Laden läuft und ist unerschütterlich?
Karsten Rogall: Er läuft nur, wenn wir jedes Jahr gute Arbeit machen. Die Rahmenbedingungen sind weiter anspruchsvoll. Zur Wahrheit gehört, dass dieser stabilisierten Wirtschaftskraft zwei Entwicklungen entgegenwirkten: die Herausforderungen aus neuen Tarif-Abschlüssen und die verminderten Einnahmen im ÖPNV-ABO aufgrund der starken Nachfrage für das Deutschlandticket. Der Bund hat das Deutschlandticket gestartet, die Finanzierung fehlt aber – sie reicht aktuell nur von der Tapete bis zur Wand. Damit haben bundesweit alle Kommunen mit ÖPNV erheblich zu kämpfen. Hier muss der Bund nachsteuern!
Momentaufnahme aus der Bilanz-Pressekonferenz im Ratsplenarsaal der Stadt Leipzig.
Frage: Zur DNA der Leipziger Gruppe gehört es, Leipzig nachhaltig zu gestalten. Wie ist das dem kommunalen Unternehmensverbund 2023 gelungen?
Karsten Rogall: Sehr gut! Die Verkehrsbetriebe haben für die Mobilitätswende in neue Fahrzeuge (zum Beispiel 38 E-Busse auf sechs Linien), in neue Angebote (zum Beispiel neue Buslinie 71 und Erweiterung des Flexa-Netzes um Mölkau-Süd, Baalsdorf und Dölitz-Dösen) sowie in die Modernisierung der Infrastruktur (zum Beispiel Waldstraße und Landsberger Straße) investiert. Dabei haben die LVB natürlich auch den Schwung des Deutschlandtickets genutzt. Als Folge haben die LVB bei den Fahrgastzahlen deutlich zugelegt – und liegen damit auch über dem Trend in der Bundesrepublik. Für das Jahr 2023 sind es gut 153,3 Millionen Fahrgäste, also 14 Prozent mehr als im Vorjahr. Im 4. Quartal 2023 wurden mit 41,9 Millionen Fahrgästen so viele Personen befördert wie noch nie zuvor seit Beginn der automatischen Fahrgastzählung in den 1990er Jahren.
Die Stadtwerke sind zudem weiter Treiber der Strom- und Wärmewende. Unser neues, potenziell wasserstofffähiges Heizkraftwerk Leipzig Süd ist am Netz und bereitet uns auch mit seinen wirtschaftlichen Beiträgen viel Freude. Unser erstes selbst projektiertes Windrad in Königshain-Wiederau liefert grünen Strom, weitere Windkraftanlagen sind im Bau. Wir vergrößern zudem unsere PV-Flächen sowohl im ländlichen als auch im urbanen Raum. Für die deutschlandweit viel beachtete Solarthermie Leipzig West ist der Baustart erfolgt. Die kommunale Wärmeplanung der Stadt Leipzig unterstützen die Leipziger Stadtwerke aktiv mit.
Auch die Wasserwerke haben umfangreiche Maßnahmen bei Netzen und Anlagen für eine langfristig zuverlässige und umweltschonende Trinkwasserversorgung und Abwasserbehandlung umgesetzt. Ziel ist es, die wassertechnische Infrastruktur noch resilienter gegen Starkregenereignisse zu machen und die Voraussetzungen für eine wassersensible Stadtentwicklung in Zeiten des Klimawandels zu verbessern.
Frage: Stichwort Abwasserbehandlung: Werfen wir einen Blick voraus. Was tut sich im Klärwerk Rosental?
Karsten Rogall: Wir bereiten gerade das größte Bauprojekt unserer jüngeren Geschichte vor: Die Erweiterung des Klärwerks im Rosental. Das 240 Millionen Euro teure Vorhaben wird in den kommenden Monaten starten. Im Kern geht es darum, die Kapazität von Leipzigs wichtigster Anlage für die Abwasserreinigung an das rasante Wachstum der Stadt anzupassen: von 550.000 auf 710.000 sogenannte Einwohnergleichwerte. Werden bisher 13.400 Kubikmeter Abwasser pro Stunde gereinigt, steigert sich die Kapazität in Zukunft auf 18.700 Kubikmeter Abwasser pro Stunde.
Frage: Das Mehr gilt nicht nur für Wasser, Abwasser und ÖPNV, sondern auch für die Wärme-Versorgung. Refill heißt das Schlagwort. Was steckt hinter diesem Projekt?
Karsten Rogall: Es geht um die Bereitstellung CO2-neutraler Fernwärme. Die Leipziger Stadtwerke wollen im Frühjahr 2025 mit dem Bau einer 19 Kilometer langen Wärmetrasse nach Leuna beginnen, die voraussichtlich mehr als 150 Millionen Euro kosten wird und Ende 2027 in Betrieb gehen soll. Das Bundeswirtschaftsministerium unterstützt dieses Vorhaben und hat uns dafür soeben nicht nur Lob ausgesprochen, sondern auch einen Fördermittelbescheid in Höhe von 70 Millionen Euro übergeben.
Die Total-Raffinerie in Leuna will zeitgleich die bisher am Standort in Leuna ungenutzte Abwärme aus den chemischen Prozessen über ein neues Leitungs- und Übertragungssystem sammeln und in unser Fernwärme-Leitungssystem einspeisen. Bislang wird diese Energie aufwendig abgekühlt und an die Umwelt abgegeben.
Die Nutzung dieser Abwärme ist komplett CO2-frei. Damit lassen sich 38 Prozent des Leipziger Wärmebedarfs von 1,2 Terawatt pro Jahr klimafreundlich decken. Das reicht für 100.000 Wohnungen. Weitere zwei Prozent kommen aus einer großen Solarthermieanlage, die momentan auf einem Feld bei Lausen entsteht. Wir gehen also konsequent Schritt vor schritt voran in Richtung klimaneutrale Fernwärme.
Frage: Fernwärme aus einem Chemiepark – das klingt ungewöhnlich und nicht gerade nachhaltig.
Karsten Rogall: Nur auf den ersten Blick. Wer zweimal hinschaut erkennt das hohe Potenzial. Ich erkläre es gern: Seit 2016 beschäftigen sich die Leipziger Stadtwerke intensiv mit der Umgestaltung der Leipziger Wärmeversorgung, insbesondere im Rahmen der urbanen Energiewende. Unser gut ausgebautes Fernwärmeverbundsystem ermöglicht es, Einzelfeuerungsanlagen wie Gas- oder Ölheizungen durch effizientere Lösungen zu ersetzen. Seit 2018 haben die Leipziger Stadtwerke die industriellen Abwärme-Potenziale am Chemiestandort Leuna genauer untersucht und erhebliches, bisher noch ungenutztes Potenzial in den Kühlprozessen der TotalEnergies Raffinerie Mitteldeutschland identifiziert. Die Einbindung der Abwärme aus Leuna würde nicht nur einen Beitrag zur Emissionsreduzierung, sondern auch zur langfristigen Kostenstabilität leisten, da keine Brennstoffe eingesetzt werden müssen. Im Mittelpunkt steht das Prinzip „Effizienz zuerst". Die sauberste und günstigste Kilowattstunde ist die, die gar nicht erst zusätzlich erzeugt werden muss. Wir nutzen also zuallererst bereits vorhandene Wärmequellen, um die benötigte Fernwärme klimafreundlich an unsere Kunden zu liefern.
Was die Zukunftsaussichten des Projekts betrifft: Der Liefervertrag für die Abwärme ist zunächst auf 20 Jahre (von 2027 bis 2047) angelegt. Diese langfristige Perspektive stabilisiert dauerhaft den Fernwärmepreis in Leipzig. Momentan rechnet die Energiebranche unter anderem wegen internationaler Konflikte und der CO2-Bepreisung mit drastisch steigenden Gaspreisen in naher Zukunft. Davon könnten sich Fernwärme und andere alternative Energie-Erzeugungen ein Stück weit abkoppeln.
Frage: Im Moment sind die Fernwärmetarife noch etwas höher als die bei der Gasheizung.
Karsten Rogall: Das stimmt. Doch im bundesweiten Vergleich liegen wir im unteren Mittelfeld. Wir haben zurzeit rund 5.000 Anträge auf einen Fernwärmeanschluss vorliegen. Die Preise werden offenbar als fair akzeptiert. Die Fernwärme-Nachfrage ist enorm hoch. Und wie gesagt: Wir setzen auf eine langfristig stabile, bezahlbare und klimafreundliche Wärmeversorgung.