HKW-Chef Stephan Kleemann: Dieser Mann sorgt für Wärme in Leipzig

von Simone Liss | 04.12.2023

Stephan Kleemann hat Energie und macht Energie – Wärme und Strom. Der Chef des neuen Heizkraftwerks Leipzig Süd der Leipziger Stadtwerke brennt für die Energiewende. Warum? Das hat er bei einem Rundgang durch das weltweit erste Kraftwerk, das für Wasserstoff zertifiziert ist, erzählt.

Stephan Kleemann vor der Turbine im HKW-Süd
Heizkraftwerk Leipzig Süd in der Vollansicht.

Das Heizkraftwerk Leipzig Süd

Stephan Kleemann vor dem Package der Turbine 9B

Vor dem Package der Turbine B

Ihre Schwingungen zeugen von Temperament, ihr Aussehen von Eleganz. Wie ein Schmuckstück sind die beiden Gasturbinen vom Typ SGT-800 in ein Kästchen gehüllt. Nicht aus Samt und Seide, sondern aus Metall. Im Inneren gerahmt von Laufstegen. Über sie kommt Stephan Kleemann (44) nah an seine beiden schwedischen Schönheiten aus Finspång ran. Doch wie immer im Leben gilt: Nur anschauen, nicht anfassen! Es sei denn, man ist Kraftwerksleiter wie Kleemann, Betriebsingenieur wie Philipp Feist (32), Kesseltechniker wie Robert Göllner (40) oder Schichtverantwortlicher wie Alexander Naundorf (37).

Jeden Morgen um acht Uhr treffen sie sich zum Rapport in der Leitwarte. Rückblick, Ausblick, Einblick – wer in diesem Kontrollraum sitzt, kommt schnell auf den Punkt. Gab es Leckagen bei den Kontrollgängen? Welche Order kommt vom Handel? Wie laufen die Emissions- und Kalibrierfahrten? Läuft das Bypassventil an der A? Funktionieren die Temperaturfühler? Müssen die Schmierölfilter am Verdichter gewechselt werden? Wie steht es um den Differenzdruck der Umwälzpumpen? Welcher Flansch tropft? Kleemann wirkt wie ein Kinderarzt bei der Visite. Feist, Göllner und Naundorf rapportieren. „Wir treiben der Anlage gerade die Kinderkrankheiten aus – die Turbinen stehen kaum ein Jahr. Wie bei einem Kind in diesem Alter muss sich das System erst einspielen“, sagt Kleemann. Mit Kinderkrankheiten kennt sich der zweifache Familienvater aus: Gerade hatten seine Tochter Aurelia (5) und sein Sohn Julius (7) Scharlach. Irgendwas ist immer. Auch in einem Heizkraftwerk. Nur lassen sich Turbinenblock A und Turbinenblock B („In Kraftwerken werden die Turbinenblöcke alphabetisch oder numerisch geordnet und nicht auf Namen ,getauft‘.“) nicht wie Aurelia und Julius mit Detektiv-Geschichten von „Jan & Henry“ im Zaum halten, sondern mit Spürsinn, Akribie und Know-how.

„Die Energiewende kann nur mit Kraftwerken dieser Bauart gelingen“

Stephan Kleemann vor der Turbine im HKW-Süd

Direkt am Brennerkopf der Turbine

Diese Fähigkeiten haben Kleemanns Männer – ein Dutzend an der Zahl. 32 Bildschirme in der Leitwarte überwachen Aggregate, Temperaturfühler, Ventile, Verdichter, Spulen, Brenner, Gas- und Druckluftleitungen, Filter und zig mehr. Besonders natürlich das Herzstück der Anlage: die beiden Gasturbinen. Zwei Kraftpakete, die es in sich haben: Mehr als 1000 Grad werden in ihrem Inneren erzeugt. Die Turbinen laufen mit 6600 Umdrehungen pro Minute. „Die Wellendreher müssen bis zu 18 Stunden nach dem Runterfahren nachdrehen“, sagt Kleemann – so vermeide man beim Abkühlen Verformungen. Zwei Mega-Maschinen. Auf die Frage, ob sie laut sind, lacht Kleemann und sagt: „Ein Heavy-Metal-Konzert im Felsenkeller ist lauter als die beiden Turbinen im Betrieb.“ Seine Tochter könne theoretisch daneben schlafen. Beruhigend.

Grob vereinfacht nutzen Turbinen die Energie des verbrannten Gas-Luftgemisches, um die auf der Welle sitzenden Schaufeln anzutreiben. „Im Kraftwerk wird diese Bewegungsenergie mithilfe eines Generators in Strom umgewandelt. Im Flugzeug nutzt man sie letztlich für den Vortrieb“, erklärt Kleemann. Im Privatleben liebt er das Fliegen, besitzt den Pilotenschein für Propellermaschinen. Während seine Cessna nur wenige Sekunden braucht, um auf volle Leistung zu kommen und abzuheben, brauchen seine beiden Gasturbinen von Null auf Strom im Netz rund 15 Minuten. Zugegeben: kein guter Vergleich. „Ein Braunkohlekraftwerk braucht dafür zwei Tage“, sagt Alexander Naundorf. Der Schichtverantwortliche weiß es genau: Zwölf Jahre lang hat er im Braunkohlekraftwerk der Mibrag in Deuben gearbeitet. Der neue Job im HKW Leipzig Süd bedeutet beruflich und privat für ihn Zukunft. „Die Energiewende kann nur mit Kraftwerken dieser Bauart gelingen.“

Worauf Naundorf anspielt? Da sich Gaskraftwerke wie das HKW Leipzig Süd schnell hochfahren lassen, werden sie in naher Zukunft zunehmend als Reserve dienen. Sie können kurzfristig Ausfälle bei der Stromproduktion aus erneuerbaren Ressourcen kompensieren und Lastspitzen – vor allem am Morgen und am Abend – zuverlässig abdecken. „Damit tragen sie zu einer stabilen und sicheren Stromversorgung in einem Energiesystem bei, das zu einem immer größeren Anteil auf erneuerbaren, aber schwankenden Quellen wie Sonnen- und Windenergie beruht“, erklärt Kleemann.

Mit Blick auf den Klima- und Umweltschutz habe die Turbinentechnologie zudem einen weiteren Vorteil. Diesen kann sie im Energie- und Mobilitätssektor ausspielen: Ihr grundsätzliches Funktionsprinzip ist unabhängig von einem speziellen Brennstoff. Sie funktioniert also nicht nur mit Erdgas und Kerosin, sondern auch mit Wasserstoff, Biogas oder synthetischen Kraftstoffen – als Beimischung zu fossilen Brennstoffen oder zu 100 Prozent.

Das Ziel: Verbrennung von klimaneutralem Wasserstoff ab 2025

Allgemein spricht man von hybrid, wenn zwei Dinge miteinander kombiniert werden. Hybrid sind heute nicht mehr nur Autos, Arbeitswelten, Fassadenfarben, Putz und Kleber, sondern eben auch Gaskraftwerke wie das HKW Leipzig Süd. 70 Prozent Gas, 30 Prozent klimaneutraler Wasserstoff – spätestens 2025 sollen die beiden Siemens-Turbinen im HKW Leipzig Süd beide Energieträger verbrennen und damit den Anfang einer neuen Ära der Wärme- und Stromversorgung markieren. Der klimaneutrale Wasserstoff soll voraussichtlich zunächst per Lkw transportiert werden. Ein erster Schritt.

Ziel der Leipziger Stadtwerke ist es, perspektivisch gar keine CO2-Emissionen mehr zu erzeugen und Leipzig klimaneutral mit Wärme und Strom zu versorgen. Doch der Weg dahin ist sportlich. Aktuell bewerben sich die Leipziger Stadtwerke um Fördermittel für eine Wasserstoff-Pipeline und treiben die Genehmigungsplanungen voran. Einerseits soll dafür eine 19 Kilometer langen Trasse von Kulkwitz zum Chemiestandort Leuna (wo gerade große Elektrolyseanlagen für grünen Wasserstoff entstehen) gebaut werden. Andererseits will Leipzig noch eine Ringleitung um die Stadt schaffen, die auch das neue HKW Leipzig Süd mit dem Heizwerk Kulkwitz verbindet, dort also Anschluss nach Leuna fände. Frühester Termin für eine Inbetriebnahme, wenn alles optimal läuft: Ende 2027.

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Zahlen & Fakten zum HKW Leipzig Süd:

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