Vom Leiharbeiter zum festen Teammitglied: wie Integration gelingen kann
von Simone Liss | 20.09.2022
von Simone Liss | 16.12.2022
Potenziale fördern, Integration fordern, Zusammenhalt stärken – das gehört zu den Aufgaben von Jan Kabisch. Formal ist der 50-Jährige Leiter Steuerungssysteme und Anlagentechnik beim Leipziger Instandhaltungsdienstleister IFTEC – einem Unternehmen der Leipziger Gruppe. Doch das Hauptaugenmerk des erfahrenen technischen Vertriebsmanagers liegt mehr und mehr auf dem Gebiet Human Resources – denn Jan Kabisch hat mehr Aufgaben als Menschen, die sie erledigen können.
Bund, Länder, Städte – sie alle bauen um. Nicht sinnbildlich, sondern ganz praktisch: Weichen müssen konstruiert, Leitungen eingegraben, Gleise verlegt, Fundamente gegossen werden. Der materielle Arbeitsaufwand der Mobilitäts- und Energiewende ist gewaltig. Jede Hand wird gebraucht. Doch woher nehmen?
IFTEC-Manager Jan Kabisch ist auf der Suche nach Fachkräften.
Jan Kabisch sucht Elektroniker für Betriebstechnik, Mechatroniker, Industriemechaniker. „Seit fünf Jahren ist der Arbeitsmarkt praktisch leergefegt. Planstellen, aber auch neue Stellen zu besetzen – das ist eine Herausforderung. Man muss im wahrsten Sinne des Wortes querdenken, ausgetretene Pfade verlassen, Tabus überwinden, Neues wagen, um Mitarbeiter zu gewinnen. In der Vergangenheit war unsere Branche sehr monoton, männlich, patriarchalisch, hierarchisch geprägt. Doch unsere Arbeitswelt hat sich gewandelt. Heute arbeiten in unserem mehr als 30-köpfigen Team Mitarbeiter verschiedener Geschlechter, Religionen, Kulturkreise, Handicaps, verschiedenen Alters, verschiedenster Vorstellungen von Normen, Werten, Tugenden. Das macht die Zusammenarbeit im Guten wie Schlechten: spannend.“
„Kommendes Jahr, im Frühjahr, stellen wir beispielsweise einen jungen Mann aus Vietnam ein. Er hatte bei der IFTEC ein Praktikum absolviert und das gesamte Team von seinen Fachkenntnissen überzeugt. Was uns bisher bei jedem Integrationsprozess positiv aufgefallen ist: Vorbehalte und Distanzen gegenüber Auszubildenden oder Berufsanfängern mit Migrationshintergrund weichen, sobald sie mit Leistung und ihrer Persönlichkeit überzeugen.“
Jan Kabisch und seine Leiter verstehen sich als Prozesspartner und Problemlöser. „Die Summe aus dem Wissen, den fachlichen und persönlichen Fähigkeiten und der Motivation aller Mitarbeiter entscheiden, ob wir nachhaltig erfolgreich sein können. Dafür müssen wir für ein offenes und gutes Arbeitsklima, einen fairen, wertschätzenden Umgang miteinander sorgen. Unsere Mitarbeiter sollen sich ernst genommen und wohl fühlen.“ Das sei nicht immer einfach. „Vor allem, wenn Jung und Alt, Experten und Laien, Sprachkundige und Sprachunkundige, laute und leise Menschen im Arbeitsleben aufeinandertreffen. Darauf zu achten, dass niemand ausgegrenzt, diffamiert, belästigt, beleidigt, respekt- oder achtlos behandelt wird, ist die Aufgabe aller Führungskräfte in der Leipziger Gruppe.“ Workshops zu den Themen neuer Arbeitswelten – Souveränität im Umgang mit Diversität, fremden Kulturen und interkulturellem Arbeiten – sollen dabei helfen, die Dimensionen von Diskriminierung zu erkennen und gegenzusteuern. „Ich bin beispielsweise noch mit dem Satz ,Lehrjahre sind keine Herrenjahre` groß geworden. Dieser Satz hat alle Gemeinheiten, Boshaftigkeiten, Respektlosigkeiten entschuldigt. Heute ein Tabu“, sagt Jan Kabisch.
Wenn Jan Kabisch davon spricht, mutig zu sein, heißt das auch, auf die Bindungskraft von Menschen zu vertrauen: „Wir haben einen osteuropäischen Kollegen, der Herz und Verstand hat, und sowohl von den Azubis, als auch von den erfahrenen Kollegen geschätzt wird. Er fungiert quasi als ,Kulturbotschafter‘, um Spannungen zwischen den unterschiedlichen Generationen und Kulturkreisen von vornherein auszuschließen.“
Wie geht Jan Kabisch mit seinen eigenen Grenzen und Ressentiments um? „Wir können unsere Sozialisation nicht einfach abstreifen. Mir ist klar, dass Einwanderung und Flucht Veränderungen bringen. Aus monokulturellen werden multikulturelle Gesellschaften – das gibt Verwerfungen. Ich bin aber überzeugt, dass Integration eine Investition in die Köpfe unseres Landes ist. Wenn wir sie entschlossen angehen, dann ist Integration der gesellschaftliche Kitt für unser Land – trotz aller Herausforderungen, die es zweifelsohne gibt.“ Zu den Herausforderungen gehöre, dass Einwanderung und Integration die Menschen im Land bewegen. „Darüber wird morgens am Küchentisch und abends am Stammtisch diskutiert. Da gibt es Ängste bei denen, die schon lange hier leben, und denen, die neu zu uns kommen. Viele Sorgen haben einen ganz konkreten Ursprung: Es geht um bezahlbaren Wohnraum, um das Lernumfeld in Kitas und Schulen, aber auch um Perspektiven im ländlichen Raum, berufliche Aussichten in der Arbeitswelt von morgen oder sichere Renten.“
Wenn er Diskussionen dieser Art mitbekommt, denkt Jan Kabisch oft an die Situation vor dem Mauerfall in der DDR oder an die Bilder von 2015: „Was hätten wir gemacht, wenn die Wiedervereinigung nicht so schnell gekommen wäre? Was würden wir machen, wenn wir in unserer Heimat keine Zukunft hätten? Manchmal hilft es, den Blickwinkel und die Perspektive zu ändern.“
Mehr Infos und persönliche Erfahrungen: Rachel Monique Seifert, Frank Switalla, Gorin Khalil, Christine Herzfeld, Frank Pertzsch, Christopher Szymula, Franziska Löbelt – sie alle sind Teil der Leipziger Gruppe und haben verschiedenste Erfahrungen mit Vorurteilen und Klischees in ihrem Berufsleben gemacht. Ihre Geschichten lesen Sie auf L-blog.de/chancengleichheit