Stadtwerke-Chefstratege: "Die Wärmewende braucht ein starkes Handwerk"
von Simone Liss | 12.02.2024
von Simone Liss | 13.01.2025
Ein neuer, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Leipziger Wärmewende ist gemacht: Eine Power-to-Heat-Anlage (PtH) der Leipziger Stadtwerke und 50Hertz nutzt überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie, um damit Gebäude zu beheizen.
Stadtwerke-Projektleiter Thomas Walther im Zentrum der Power-to-Heat-Anlage.
Thomas Walther kontrolliert den Niederspannungs-Schaltschrank.
Er war der Publikumsmagnet auf der Leipziger Frühjahrsmesse 1924: der Ringtauchsieder. Ein handliches elektrisches Gerät, das Wasser doppelt so schnell wie eine Kochplatte erhitzte und selbst noch viel schneller wieder abkühlte. Vor einhundert Jahren eine Sensation. Die Warmwasserbereitung wurde revolutioniert. Dass das Prinzip – Heizstab eintauchen, Strom anschalten, Wasser erhitzen – 2025 eine Renaissance erfährt, ist für Thomas Walther eine kleine Genugtuung. „Alte Eisen sind oft besser als ihr Ruf“, sagt der 58 Jahre alte Projektingenieur zwinkernd. Nun hat er im Leipziger Norden eine Power-to-Heat-Anlage der Leipziger Stadtwerke und des Übertragungsnetzbetreibers 50Hertz in Betrieb genommen, die nach dem Tauchsieder-Prinzip funktioniert, das Stromnetz stabilisiert und gleichzeitig klimaneutrale Fernwärme liefert.
Blick auf den Transformator der PtH-Anlage: Der Trafo reduziert die elektrische Spannung und macht aus 10 kV 690 Volt.
Damit ist ein neuer, wichtiger Schritt auf dem Weg zur Leipziger Wärmewende gemacht: Eine Power-to-Heat-Anlage nutzt überschüssigen Strom aus Wind- und Sonnenenergie, um damit Gebäude zu beheizen. Die Leipziger Stadtwerke nahmen jetzt gemeinsam mit dem Übertragungsnetzbetreiber 50Hertz eine solche Anlage im Heizwerk Nord-Ost in der Heiterblickstraße in Betrieb. 50Hertz investierte dafür rund vier Millionen Euro. Die Power-to-Heat-Anlage hat eine elektrische Leistung von zehn Megawatt (MW), was der Leistung von etwa 1.000 Einfamilienhaus-Heizungen entspricht.
„Mit dem Ausbau der Stromerzeugung aus Erneuerbaren Energien wird es häufiger Zeiten geben, in denen, abhängig von Sonnenschein und Wind, elektrische Energie im Überfluss entsteht und nicht vollständig über die Stromnetze abtransportiert werden kann", sagt Karsten Rogall, Geschäftsführer der Leipziger Stadtwerke. „Genau hier setzt Power-to-Heat an: Anstatt Erneuerbare-Energien-Anlagen abzuregeln und die Potenziale verpuffen zu lassen, produzieren wir grüne Fernwärme aus diesen Überschüssen." Dadurch können im Gegenzug wärmeerzeugende Kraftwerke wie das Gas- und Dampfturbinenkraftwerk in der Eutritzscher Straße herunterregelt werden, so Rogall weiter. Kurzum: Die Leipziger Stadtwerke nutzen grünen Strom, um Erdgas einzusparen und so CO2-Ausstoß zu vermeiden.
„Power-to-Heat-Anlagen nach dem Prinzip 'Nutzen statt Abregeln' wie jetzt bei den Leipziger Stadtwerken können zweierlei bewirken: Das Potenzial der Erneuerbaren Energien besser ausschöpfen und Engpässe im Stromnetz entschärfen. Unsere 50Hertz-Systemführung bei Berlin kann die PtH-Anlage im Leipziger Norden zukünftig gemeinsam mit dem Kraftwerk in der Eutritzscher Straße über die Leitstelle der Leipziger Stadtwerke für das sogenannte Engpassmanagement einsetzen. Das entlastet das Stromnetz doppelt – durch zusätzlichen Stromverbrauch in der Power-to-Heat-Anlage und gleichzeitig geringere Strom- und Wärmeproduktion im Kraftwerk. Der mitteldeutsche Raum bietet für dieses Konzept gute Voraussetzungen, weil es hier ein hohes Aufkommen an Windstrom und inzwischen auch große Freiflächensolaranlagen gibt", sagt Dr. Dirk Biermann, Chief Operations Officer (COO) von 50Hertz.
Erste Anlage in Leipzig: Wie funktioniert Power-to-Heat?
Die Erzeugung von Wärme in einer solchen Anlage ist vergleichbar mit dem Prinzip eines Tauchsieders beziehungsweise Wasserkochers – nur im XXL-Format. In einem großen Behälter befinden sich elektrische Heizstäbe, die von Wasser umströmt werden. Diese Heizstäbe können bei Bedarf eingeschaltet werden und erhitzen das Wasser mit Strom aus Erneuerbare-Energien-Anlagen, die zu diesem Zeitpunkt mehr Strom erzeugen als im Stromnetz abtransportiert werden kann. Der Wirkungsgrad dieser Heizstäbe ist sehr hoch. Fast die gesamte elektrische Energie wird in Wärmeenergie umgewandelt.
Da Wärmeerzeugung und Wärmeverbrauch zeitlich nicht immer deckungsgleich sind, kann das erhitzte Wasser in den beiden Wärmespeichern der Leipziger Stadtwerke zwischengespeichert und zu einem späteren Zeitpunkt in das Fernwärmenetz eingespeist werden.
„Vor 20 Jahren hätte niemand einen Pfifferling auf diese Idee gegeben", sagt Stadtwerke-Projektleiter Thomas Walther. Doch die Zeiten haben sich geändert. Dass man sich wieder auf Altbewährtes besinne, sei vernünftig und nachhaltig zugleich. „Da durch den Einsatz von Power-to-Heat-Anlagen der Verbrauch fossiler Brennstoffe für Heizwecke reduziert werden kann, wird diese Technologie in Zukunft eine zunehmende Rolle in der Leipziger Wärmeversorgung und bei der Verwirklichung der Leipziger Klimaziele spielen. Schon heute planen wir eine zweite, 60 Megawatt starke Power-to-Heat-Anlage an unserem Kraftwerksstandort im Zentrum-Nord", sagt Walther.
Die Umwälzpumpe transportiert das erwärmte Wasser über die Fernwärmeleitungen in viele Leipziger Haushalte.
Leipziger Wärmewende wird konkreter
Leipzig hat zurzeit einen Gesamtwärmebedarf von rund 4600 Gigawattstunden pro Jahr; weniger als 2,5 Prozent davon werden momentan aus erneuerbaren Energien hergestellt. Knapp die Hälfte des Wärmebedarfs wird momentan mit Erdgas gedeckt, 28 Prozent mit Fernwärme. Jedes zehnte Gebäude heizt mit Heizöl. Der Bundesgesetzgeber hat mit dem Gebäudeenergiegesetz festgelegt, dass deutschlandweit ab 2045 nur noch klimaneutrale Heizungen betrieben werden dürfen.
Der hierfür erforderliche Umbau der Energieinfrastruktur ist immens, weshalb sich Leipzig entschlossen hat, bereits jetzt mit Planung und Umsetzung der Wärmewende zu beginnen und die Eckpunkte ihrer Wärmeplanung für die kommenden Jahrzehnte vorzulegen. Kernstück ist der Ausbau der Fernwärme, die perspektivisch klimaneutral produziert wird. In den Gebieten, in denen Fernwärme nicht möglich ist, wird in Leipzig künftig Strominfrastruktur ausgebaut, um die Gebäude mit Wärmepumpen klimaneutral beheizen zu können. So schnell wie möglich soll der Umbau in einem ersten Pilotprojekt in der Südvorstadt West starten. Dem jetzt vorgelegten Rahmenpapier wird ein finaler Wärmeplan folgen, über den der Stadtrat entscheiden muss.
Die erste Power-to-Heat-Anlage der Leipziger Stadtwerke ist ein Baustein auf dem Weg zu einer klimaneutralen Wärmeversorgung. Für die Nachfahren von Theodor Stiebel – dem Erfinder des Ringtauchsieders – eine gute Nachricht. Mit 20.000 Reichsmark, die Stiebel sich von zwei Onkel lieh, gründete er am 5. Mai 1924 in Berlin die Firma Eltron Dr. Theodor Stiebel. Heute gilt das Unternehmen als einer der Vorreiter der Energiewende in Deutschland.
Hintergrund-Information
Nach Angaben der Bundesnetzagentur wurden 2023 in Deutschland rund 10.000 Gigawattstunden Strom aus EE-Anlagen abgeregelt, um Engpässe im Stromnetz zu vermeiden. Dabei konnten 96 Prozent der Gesamterzeugung aus Erneuerbaren Energien über die Stromnetze zu den Verbrauchern transportiert werden. Vier Prozent der potenziellen Erzeugung gingen jedoch verloren, weil die Netze aktuell dafür nicht ausreichen. Deshalb ist das Speichern von entscheidender Bedeutung. Zudem sollen der Ausbau der Stromnetze, die Sektorenkopplung (Nutzung von überschüssigem Strom zur Erzeugung von Wärme oder zur Elektrifizierung von Verkehrsmitteln) sowie Nachfrage-Management (planbare Industrieprozesse werden dann umgesetzt, wenn viel Strom im Netz ist) in Zukunft weniger Abregeln bewirken.