Neue Leipziger Straßenbahn zeigt sich zum Stadtfest
von Redaktion | 15.06.2023
von Catrin Kultscher | 11.10.2024
Ja, es gibt auch für Straßenbahnfahrer eine Europameisterschaft. Seit 2012 ist die TRAM-EM unterwegs in Europa. Erster Austragungsort damals war Dresden.
Aus dieser ersten Veranstaltung ist inzwischen eine gute Tradition geworden – einmal im Jahr treffen sich Straßenbahnfahrerinnen und -fahrer aus ganz Europa, um ihre Kräfte zu messen. In Leipzig war die TRAM-EM zuletzt 2022 zu Gast, im Jubiläumsjahr für 150 Jahre Straßenbahn.
Andrea Brauer ist Leiterin Fahrdienst und macht ihren Job mit Leidenschaft. Als Teamleiterin begleitet sie die beiden Kollegen, die sich im LVB-internen Vorausscheid durchsetzen konnten (lies dazu auch unseren Blog): Susanne Zill und Martin Busch. Zusammen reisen sie am 12. September nach Frankfurt zum Wettbewerb, bei dem 24 Teams um den Titel kämpfen. Andrea Brauer hat für uns Tagebuch geführt.
Susanne Ziller und Martin Busch.
Endlich ist es so weit: 238 Tage sind vergangen, seit uns die Verkehrsgesellschaft Frankfurt (VGF) zur TRAM-EM 2024 eingeladen hat. Ok, für Susi und Martin war die Wartezeit kürzer – sie wissen seit 102 Tagen, dass für sie heute eine der aufregendsten Reisen als Straßenbahnfahrer beginnt. Noch dreieinhalb Stunden, bis ich Richtung Hauptbahnhof starte. Eine kurze Nachfrage bei allen Beteiligten und ich weiß, dass alle ausgeschlafen und gesund sind – so lässt es sich entspannt in den Tag starten! Und beim Packen nicht vergessen: die kleinen Geschenke, die wir mit den Fahrern der anderen Verkehrsbetriebe austauschen wollen. Ein schönes Ritual, das Susi und Martin noch kennenlernen sollen.
Die Bombardier-Straßenbahn vom Typ „S-Wagen“.
Am Frankfurter Hauptbahnhof werden wir herzlich von VGF-Mitarbeiter Dennis empfangen. Bald darauf inspizieren wir den Hauptbahnhofsvorplatz und vergleichen ihn mit den örtlichen Gegebenheiten zuhause. Auch wenn es hier nur zwei Bahnsteige gibt, ist es deutlich enger und unübersichtlicher. Auch das Fahrzeug, eine Bombardier-Straßenbahn vom Typ „S-Wagen“, wird gründlich begutachtet: viel Platz für stehende Fahrgäste und Kinderwagen sowie Rollstühle, dafür umso weniger Sitzplätze. Schnell entsteht ein reger Austausch zwischen Leipziger, Züricher und Berliner Fahrern. Mit dem Berliner Team im Schlepptau studieren wir eingehend die Wettkampfstrecke, achten auf Besonderheiten und beobachten die dort verkehrenden Bahnen – ganz besonderes Augenmerk legen wir auf Fahrzeugbreiten, Wagenkastenausschlag in der Kurve und zählen die vorhandenen Pflastersteine. Wir genießen später die regionale Küche, lernen Fachbegriffe wie „ausschieben“ und treffen auf die Teilnehmer aus Birmingham und Budapest und ahnen noch nicht, wer uns da die Ehre gibt.
Hier muss sanft gebremst werden: Kein Tropfen Wasser darf überschwappen.
Freitag, der Dreizehnte … Aberglaube oder gutes Omen? Wir entscheiden uns für Letzteres. Offizielle Begrüßung und Vorstellung – begeistert und mit breitem Lächeln winkt jeder Teilnehmer in die Runde. Und alle warten nur auf das eine: die Präsentation der Wettkampfdisziplinen. Im Video fährt der Fahrer der VGF in perfekter Manier behutsam an, bremst ebenso sanft. Kein Tropfen Wasser entweicht der Schüssel vorn an der Bahn. Neben mir spüre ich eine Last von den Schultern unserer Fahrer fallen: zum Glück erst diese Woche geübt und gut gemeistert. Die anderen Disziplinen heißen Zielbremsung, Billard, perfekter Stopp. Und ein wahnsinniger Parcours, in dem sich die Fahrer Symbole merken und sortieren müssen.
Ein Blick über die Schulter unseres Tram-EM-Teams.
Auf dem Betriebshof Ost: Das Training beginnt. Zwei Teams pro Fahrzeug, jedes in eine Fahrerkabine. Gnadenlos geht es auf sechs nebeneinander liegenden Gleisen vor und zurück, Beschleunigungen und Bremsungen werden bis ans Limit ausgereizt, Sensibilität und Feinfühligkeit ausgelotet. Unsere ersten Meter übernimmt Martin. Ein völlig fremdes Fahrzeug und ungewohntes Handling – einfach ist es nicht, sich so schnell umzugewöhnen. Und erst recht nicht, direkt einen Wettkampf damit zu bestreiten. Susi erweist sich als coole Socke, probiert und trifft sicher ihre anvisierten Ziele.
Diese EM-Disziplin heißt Tram-Billiard.
Nach einem spannenden Einblick hinter die Kulissen der Stadtbahn-Werkstatt, tauschen wir Dienstkleidung gegen Zivil und freuen uns auf schöne Gespräche bei der „Drivers Welcome Party“. Zuerst erwartet uns noch ein Treffen mit dem Oberbürgermeister von Frankfurt Mike Josef im Kaisersaal des „Römer“, dem Rathaus der Stadt. Eine kleine Anspannung bringt auch das Abendprogramm: Es wird ausgelost, in welcher Reihenfolge die Teams morgen starten werden. Klar ist dabei, der Ausrichter beginnt gefolgt vom amtierenden Europameister Wien. Unserem Wunsch-Startplatz 20 sind wir dann mit der 16 doch recht nah.
Ein fast "Perfekter Stopp".
Nun ist er da, der sehnsüchtig erwartete Tag. Unsere Fahrer sind mit jeder Faser auf Wettkampf gepolt, Nervosität kriecht die Nase hinauf, innere Unruhe hängt in der Luft. Am Frankfurter Willy-Brandt-Platz, umrahmt von den Hochhäusern der Stadt, herrscht reges Treiben. Und mittendrin: Team Leipzig, das ganz gebannt die Testläufe verfolgt. Der Platz füllt sich und so langsam wirds eng. In dieser Menge tummeln sich viele Pressevertreter. Susi und Martin sind für einen Privatsender verkabelt und werden den ganzen Tag von Kamera und Mikrofon verfolgt. Es ist schön, dass hier dem Beruf des Straßenbahnfahrers so viel Aufmerksamkeit zuteil wird und den Menschen, die dahinterstecken.
Bei der Zielbremsung ist das Timing wichtig.
Wahnsinnig viele Fans sind gekommen und auch einige aus Leipzig finden uns. Wir gehen in die Startaufstellung, Martin atmet tief durch. Die Ampel leuchtet grün, Martin startet mit dem Buzzer die Zeitmessung. Erste Disziplin Wasserschale – kein Problem, das sieht richtig gut aus. Zweite Disziplin Zielbremsung – verdammt, kurz vor dem Ziel stehen geblieben! Billard – Martin das packst du! – unglaublich wenige Zentimeter fehlen bis zur Berührung vom Queue. Mist! Fahrzeugwechsel, Gefahrenbremsung. Die 25km/h erreicht er ohne Probleme, Bremsung passt auch, wertvolle Punkte. Perfekter Stopp, auch hier sackt Martin Punkte ein. Super, weiter so! Nun noch die Symbole sortieren – uff, welche wurden gezeigt? Beherzt sprintet er zum roten Buzzer und stoppt die Zeit bei 3 Minuten 46 Sekunden. Insgesamt stehen 1.100 Punkte auf unserem Teamkonto – sehr gut gemacht! Und damit sind wir derzeit das beste deutsche Team.
Das LVB-Team auf der großen Bühne.
Nach der Mittagspause zeigt auch Susi, dass die TRAM-EM weit mehr ist als „ein bisschen Straßenbahn“ zu fahren. Sie haut auf Buzzer und springt in die Bahn. Stopp and Go, die Disziplin mit dem Wasser, meistert sie problemlos. Führerstandswechsel, Zielbremsung. Susi beherzigt Martins Tipp, fährt 2 km/h schneller als er – und rollt leicht über das Ziel. Was für ein Pech! Konzentrieren, weiter gehts zum Billard. Sicher fährt sie bis zum Queue, der Wagen kommt jedoch nicht rechtzeitig zum Stehen und berührt den Aufsteller – 0 Punkte. Jetzt nur nicht die Nerven verlieren! Wagenwechsel, Gefahrenbremsung. 25 km/h mit abgedecktem Tacho, gar nicht so leicht. Der Wagen stoppt nur wenige Zentimeter vor der Messtafel, keine Punkte. Doch bei der letzten Übung zeigt Susi, dass sie noch Punkte mitnehmen kann und hält mit der Tür an der Messtafel. Mit 3 Minuten und 50 Sekunden stoppt sie nur wenig langsamer als Martin die Zeit und ist sehr erleichtert, als er sie im Ziel empfängt. Das Team Berlin freut sich mit uns, nimmt Susi in den Arm.
Das ist es, was die TRAM-EM für uns Straßenbahnfahrer so auszeichnet: Wir sind alle füreinander da und gönnen jedem das beste Ergebnis.
Unser Team hatte viel Spaß mit den Fahrerinnen und Fahrer aus den anderen Städten.
Der Wettkampf ist für uns beendet. Um das Siegerpodest kämpfen heute andere Teams und das bei einer wirklich großartigen Stimmung. Das Rennen entscheidet sich zwischen Brüssel und Budapest. Beide Teams räumen ordentlich ab, schenken sich gegenseitig nichts. Und am Ende steht fest: Nur minimale 50 Punkte trennen den zweiten Platz vom neuen Europameister Budapest. Wir freuen uns mit dem sehr sympathischen Team. Als „Best Driver“ wird die Brüsseler Straßenbahnfahrerin ausgezeichnet. Das wird bei der Siegerehrung und dem anschließenden „Drivers Dinner“ im eleganten Ambiente der Oper Frankfurt ausgiebig gefeiert.
Am nächsten Tag heißt es dann „Goodbye Frankfurt“ – und wir alle sind dankbar, das erlebt zu haben. Zurück in Leipzig werden Susi und Martin freudig von ihren Liebsten empfangen. Was für ein schöner Anblick! Und einmal mehr sind wir alle stolz auf unseren Beruf, der jeden Tag Herausforderungen bringt und doch so viel Spaß machen kann.
Lust, auch mal hinter dem Steuer einer Straßenbahn zu sitzen? Dann informier dich hier zu Karrierechancen und Ausbildung – bei uns im #TeamLeipziger gibt es auch noch viele andere tolle Jobs.