Vom Leiharbeiter zum festen Teammitglied: wie Integration gelingen kann
von Simone Liss | 20.09.2022
von Simone Liss | 18.10.2022
Frauen können nicht schwer heben; Bauarbeiter wird man, wenn man schulisch nichts draufhat: Vorurteile wie diese begegnen Franziska Löbelt immer wieder. Seit 2017 ist die Bauingenieurin Führungskraft bei der Bau und Service Leipzig GmbH, einer Tochter der Leipziger Wasserwerke.
Baustellen sind ihr Ding: Bauingenieurin Franziska Löbelt.
Als Teamleiterin Abwassernetze ist sie Chefin von 22 Männern, hauptsächlich Maurern. Der zielstrebigen 32-Jährigen macht das nichts aus, dennoch wird sie immer wieder auf ihre Rolle als junge Frau angesprochen. Im Interview spricht sie über Vorurteile, die ihr und ihrem Team begegnen.
Frage: Ist es eine Besonderheit, dass Sie als junge Frau ein Team von Männern leiten und auf der Baustelle arbeiten?
Franziska Löbelt: Nein, für mich persönlich nicht – für mich ist es einfach mein Leben. Für die Gesellschaft ist es offensichtlich ein Thema. Da wird immer wieder gebohrt und nachgefragt: „Echt, wie ist das denn?“ Das ging im Familienumfeld los und auch von Kolleginnen und Kollegen anderer Teams höre ich das. Viele sind verwundert, dass ich nicht den üblichen Weg gewählt habe.
Welchen beruflichen Weg sind Sie bisher gegangen?
Ich habe in Leipzig Bauingenieurwesen studiert. In einem Praktikum auf der Baustelle merkte ich, das ist genau mein Ding, wenn sich die Bagger drehen. Zu sehen, es geht von Tag zu Tag vorwärts, den Fortschritt zu begleiten, zu organisieren, abzustimmen und zu planen. Man hat einen Plan und ein Ziel und setzt es mit dem Team um. Das hat mich begeistert. Da habe ich gesagt: Ich muss auf die Baustelle!
Mit 23 und dem Master in der Tasche habe ich meinen ersten Job angefangen. Ich bin dann schwanger geworden. Da gab es schon recht viel gesellschaftlichen Druck, in die Vollzeitstelle bei der damaligen Firma zurückzukehren. Ich hatte das Gefühl, mich nach der Elternzeit nochmal neu beweisen zu müssen. Als Frau musste ich sowieso immer 120 Prozent geben. Gerade als junger Mensch traut man sich auch noch nicht, für die eigenen Grenzen einzustehen und ist dadurch leicht manipulierbar. Heute mit mehr Lebenserfahrung würde ich das anders machen.
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Was hat Sie bewegt, bei der Leipziger Gruppe anzufangen?
In meinem alten Job habe ich meine Tochter oft nur schlafend gesehen. Ständig musste ich unbezahlte Überstunden machen. Bei der Leipziger Gruppe habe ich mich 2017 beworben, weil ich eine geregelte 40-Stunden-Woche wollte. Faire Bezahlung nach Tarifvertrag gibt es hier auch. Ich weiß, dass ich nicht weniger Geld verdiene, nur weil ich eine Frau bin – das ist ein gutes Gefühl.
Was machen Sie in Ihrer aktuellen Stelle in der Bau und Service Leipzig GmbH? Und wie ist Ihr Verhältnis von Bürozeit zu Baustellenzeit heute?
Auch für das Abwassernetz ist Franziska Löbelt zuständig.
Ich bin 25 Prozent auf der Baustelle draußen und 75 Prozent im Büro. Die Bau und Service Leipzig GmbH hält das Netz der Leipziger Wasserwerke instand. Wir sorgen für die Trinkwasserversorgung und Abwasserentsorgung. Die Wasserwerke beauftragen uns beispielsweise, wenn im Abwassernetz etwas repariert werden muss. Ich plane das, treffe Absprachen mit den Verkehrsbehörden, organisiere die Abläufe. Anschließend setzt mein Team es um.
Auf der Baustelle bin ich regelmäßig. Meine Standard-Fragen sind: „Na, wie läufts? Ist die Baustelle gut im Plan, fehlt etwas an Material, gibt es eine schwierige Situation?“ Meine größte Aufgabe ist es, alles Wichtige zu kommunizieren und von den Kollegen den Stand der Dinge einzufordern.
Wieso arbeitet bisher keine Maurerin in Ihrem Team?
Ich würde gerne eine Maurerin einstellen. Da würden sich die Maurer mehr am Riemen reißen (lacht). Es bewerben sich aber keine Maurerinnen. Die sind mit noch mehr Vorurteilen konfrontiert als ich beim Bauingenieurwesen. Als Mädchen bekommt man immer gesagt, du kannst das nicht. Für mich selbst war es auch undenkbar. Ich dachte, ich kann das aufgrund körperlicher Nachteile nicht. Mittlerweile kenne ich genug Frauen auf Baustellen. Sie heben nicht die 25-Kilo-Säcke und trotzdem haben sie genug Aufgaben zu erledigen. Es gibt so viele Hilfsmittel. Die Arbeit hat sich technisch weiterentwickelt.
Dann steht einer Bewerbung von Maurerinnen ja nichts mehr im Wege, oder?
Vorurteile und Klischees treffen nicht nur Frauen, sondern auch die Maurer selbst. Wer einen Bauberuf ausüben will, hört oft die Abwertung: „Wenn du schlecht in der Schule bist, kannst Du nur Maurer werden“. Nein, sage ich, im Gegenteil. Das ist ein toller Beruf! Auch der „Arbeiterschicht“-Stempel wird da manchmal draufgedrückt. Es fehlt an Anerkennung in der Gesellschaft. Das versuche ich als Führungskraft anders zu leben.
Sind Ihnen als Frau sexistische Kommentare im Arbeitsumfeld begegnet?
Nein, sowas gibt es nicht. Aber ich habe mich früher über die Nacktkalender im Bauwagen aufgeregt, die gibt’s auch in meinem Team. Eines Tages werde ich auch einen Kalender mit Männern ins Büro hängen (lacht). Frauen sind als Sexobjekte dargestellt und auf den Körper reduziert. Als ich neu angefangen habe, haben sie die Jacke über den Kalender gehängt. Sie wollten zumindest auf mich Rücksicht nehmen. Aber es stört mich mittlerweile nicht mehr. Auch wenn ich es nicht verstehe, es gehört einfach zum Bauwagen dazu. Aber sowas schreckt möglicherweise Frauen ab, Maurerin zu werden. Wenn ich meine Schnitte in der Mittagspause essen möchte und das dann da hängt.
Team-Arbeit: Trotzdem hat Franziska Löbelt das letzte Wort.
Was ist Ihnen als Führungskraft in der Zusammenarbeit mit Ihrem Team wichtig?
Als ich angefangen habe, hatte ich Bedenken, wie ich mir den Respekt der Männer erarbeiten kann. Aber das war kein Thema, es hieß von Anfang an: Die Chefin kommt! Es ist klar, dass ich das letzte Wort habe. Auch wenn mein Führungsstil nicht Ego gesteuert ist.
Meine Mitarbeiter sollen mit Problemen zu mir kommen, auch mit privaten. Ich bin Ansprechpartnerin und kümmere mich. Ich habe mittlerweile ein gutes Gespür für das Miteinander im Team und Konflikte. Ich weiß, wann ich eingreife und einen Konflikt löse und wann ich es dem Team selbst überlasse.
Wenn es eine schwierige Baustelle gibt, da bringe ich auch mal Pfannkuchen vorbei. Um so das Team für die körperliche und anstrengende Arbeit zu motivieren. Meine Mitarbeiter sollen spüren, dass sie ein wichtiger Teil sind: in meinem Team und bei der ganzen Leipziger Gruppe. Dass sie als Mensch wahrgenommen werden.