Baustart für Deutschlands größte Solarthermie-Anlage
von Peter Krutsch | 28.03.2024
von Simone Liss | 24.04.2025
Am 26. April findet bundesweit der Tag der erneuerbaren Energien statt. Welche erneuerbare Energien für Leipzig infrage kommen, und welche Technologien die Energiewende vor Ort voranbringen, diskutieren Entwickler, Planer und Konstrukteure der Leipziger Stadtwerke im Tech Board. Bevor aus Theorie Praxis wird, spielen die Energie-Experten viele Varianten durch. Im Tech Board des Unternehmens wird die Zukunft modelliert und Interaktion trainiert.
Aus der Vogelperspektive: Die Solarthermie-Baustelle der Leipziger Stadtwerke im Stadtteil Lausen-Grünau wächst und soll Ende 2025 in Betrieb genommen werden.
Aus der Vogelperspektive: Die Solarthermie-Baustelle der Leipziger Stadtwerke im Stadtteil Lausen-Grünau wächst und soll Ende 2025 in Betrieb genommen werden.
Sie loten aus, welche regenerativen Energiequellen in Zukunft den Pulsschlag von Leipzigs Lebensadern bestimmen könnten: Dr. Thomas Zeng (l.) und Erik Jelinek.
Heizen mit Laub? Mit Chinaschilf oder Hanf? Das ist durchaus möglich. Und noch vieles mehr: Wärme aus Grünschnitt, Kompost oder Flusswasser, Windstrom aus 500 Metern Höhe, Hybridkollektoren, Verquickung von Windenergie und Power-to-Heat XXL, Speicher für Windkraft und Sonnenenergie, Pufferspeicher, Elektrolyseure – all das beschäftigt Thomas Zeng. Er blickt über den Tellerrand hinaus. Ohne Scheu. Wie wird aus Gras Gas? Aus Weiße-Elster-Wasser Warmwasser? Aus Windenergie Wärme? Der Maschinenbauer und promovierte Verfahrenstechniker leitet das Team Projektentwicklung im Bereich Erzeugung der Leipziger Stadtwerke. Er lotet aus, welche regenerativen Energiequellen den Pulsschlag von Leipzigs Lebensadern bestimmen könnten. Ein weites Feld, das Zeng und sein 18-köpfiges Team bestellen. Doch ihre Mühe trägt erste Früchte.
Was ihnen hilft, ist ein sogenanntes Tech Board. Wie ein Tumor Board Mediziner unterschiedlichster Fachrichtungen zu einem Fall an einen Tisch bringt, vernetzt das Tech Board Koordinatorinnen wie Annett Beer, Energiehändler wie Alexander Teichert, Innovations-Managerinnen wie Dr. Olga Naumov, Projektleiter wie Erik Jelinek, Marktsteuerer wie Jens Teresniak, Finanzierungs-Experten wie Jörg Herrmann und Netz-Spezialisten wie Philipp Oehmgen und Jan Schubert. Sie identifizieren Innovationschancen und bewerten deren wirtschaftliches Potenzial.
Das Tech Board vernetzt Experten in Schlüsselpositionen bei den Leipziger Stadtwerken.
Dieses interdisziplinäre Lernen und Entscheidungsfinden nennen Wissenschaftler Schwarmintelligenz. „Ob Bienen, Fische, Gnus oder Vögel: Wenn Tiere sich zusammenrotten, sind sie schlagkräftiger. In der Gruppe sind sie geschützt, finden Nahrung oder den richtigen Weg. Auch wir wollen gemeinsam den besten Weg finden“, sagt Zeng. „Im Tech Board werden Technologien grundsätzlich auf ihre marktfähige Einsatzfähigkeit und den Versorgungsauftrag der Stadtwerke vorgeprüft. Danach werden konkrete Ansätze erarbeitet, um daraus realistische Bauprojekte zu machen.“
Für die Gartenstadt Alt-Lößnig wurde beispielsweise geprüft, wie ein innovatives Nahwärmenetz im Zusammenspiel von Solarthermie, Geothermie und Abwärme aus dem Heizkraftwerk Leipzig Süd tragfähig funktionieren könnte. „Zudem wird momentan die technische und wirtschaftliche Realisierbarkeit einer Großwärmepumpe erstellt. Wir wollen die Temperatur der Weißen Elster als Wärmequelle nutzen.“ Vorbilder dafür gibt es bereits: In Rosenheim betreiben die dortigen Stadtwerke drei Flusswasser-Großwärmepumpen. Sie zweigen Wärme aus dem Mühlbach ab, um sie ins Fernwärmenetz einzuspeisen. Rund zehn Prozent der Fernwärme in der Stadt stammen aus dieser Quelle. In Mannheim beziehen rund 3.500 Haushalte ihre Wärme emissionsfrei aus dem Rhein.
„Auch für Leipzig sehen wir hier ein großes Potenzial. Die Stadt liegt inmitten des Zusammenflusses von Weißer Elster, Pleiße und Parthe und wird von Wasserwegen mit einer Gesamtlänge von rund 186 Kilometern durchflossen. Dieses Wasser ist in vielerlei Hinsicht ein Juwel“, sagt Zeng. „Die Energiedichte von Wasser ist hoch. Weil das Gewässer fließt, regeneriert sich die Temperatur ständig und die Wärmequelle erschöpft sich nicht. Und im Winter, wenn der Wärmebedarf hoch ist, bleiben die Wassertemperaturen höher als die der Luft.“
Nicht Wasser, sondern Sonne steht bei Erik Jelinek hoch im Kurs. Er treibt in Leipzig-Lausen den Bau von Deutschlands größter Solarthermie-Anlage – und nutzt dabei das Tech Board. „Wichtig sind verschiedene Sichtweisen und die Akzeptanz gemeinsam gefundener Lösungen. Mich hat zum Beispiel die Anwendungstauglichkeit hybrider Kollektoren interessiert. Sie können Wärme und Strom produzieren – in Kombination mit Fernwärme sind sie durch ihr hohes Temperaturniveau nicht direkt geeignet. Indirekt, in Kombination mit einer Wärmepumpe, aber möglicherweise schon. Dies wertfrei, unverstellt und offen innerhalb des Tech Boards betrachten und taxieren zu können, macht Spaß und zudem schlauer.“ Was nämlich für anwendertauglich erklärt wurde: Aquathermie. Ein Beispiel ist das Hafendorf Hain im Süden Leipzigs. Hier setzen die Stadtwerke in einem Pilotprojekt mit dem Projektpartner Tilia Wärmepumpen mit innovativen Propellern zur Leistungssteigerung ein und decken den Strombedarf über Photovoltaik.
Die Technik hinter der Aquathermie-Anlage ist bemerkenswert: Unter einem Bootssteg am Nordufer des Hainer Sees wurden sechs Wärmetauscher installiert, die von speziellen Oloid-Rührwerken unterstützt werden. Diese Rührwerke, basierend auf der Geometrie des Oloids, sorgen für eine konstante Wasserzirkulation um die Wärmetauscher und sichern so eine optimale Energieausbeute.
Bevor neue, klimaneutrale Erzeugungs- und Speichertechnologien wie Flusswasser-Großwärmepumpen, Solarthermie oder Aquathermie zum Einsatz kommen, müssen sie vielen Anforderungskriterien, die das Tech Board der Leipziger Stadtwerke definiert, entsprechen – „vor allem müssen die Technologien sicher, nachhaltig, wettbewerbsfähig, wirtschaftlich, sozial verträglich, förderfähig sein, den gesetzlichen sowie regulatorischen Rahmenbedingungen sowie natürlich unserer Erzeugungsstrategie entsprechen“, sagt Zeng. Kurzum: Neue Technik soll für Leipzig und die Region in allen Facetten ein Gewinn sein.
Ob analog oder digital: Ideen sind beim Tech Board in jeder Form gefragt.
Auf diesen Effekt setzt auch Olga Naumov. Sie und ihr Team entwickeln gerade im Rahmen eines Forschungs- und Entwicklungsprojekts Betriebs- und Bewirtschaftungsprozesse für Stromspeicher. Im Fokus sind Stand-alone-Batteriespeicher sowie Co-Location-Batteriespeicher. Während Stand-alone-Batteriespeicher völlig unabhängig von erneuerbarer Erzeugung sind, jederzeit Strom ein- und ausspeisen und in ländlichen sowie urbanen Räumen errichtet werden können, befinden sich Co-Location-Batteriespeicher in unmittelbarer Nähe von Energieerzeugungsanlagen wie Solar- oder Windparks. Letztere speichern die überschüssige Energie dieser Anlagen und speisen sie bei Bedarf wieder in das Netz ein. „Wir suchen gerade nach geeigneten Flächen für beide Speichertypen, prüfen ihre Anschlussfähigkeit ans Stromnetz und entwickeln die Steuerungssysteme“, sagt die Innovations-Managerin.
Naumov und ihre Kollegen haben ständig Augen und Ohren offen. „Durch den Einsatz vielfältiger Lösungen können wir flexibel auf regionale Gegebenheiten, unterschiedliche Kundenbedürfnisse und technologische Fortschritte reagieren“, sagt Naumov. Was das bringt? „Diese Vielfalt erhöht die Resilienz gegenüber Versorgungsschwankungen, reduziert Abhängigkeiten von fossilen Energieträgern und fördert die Integration erneuerbarer Energien.“
Naumov, Jelinek und Zeng sind optimistisch: Der Aufschwung künstlicher Intelligenz und die Automatisierung unterstützen den Übergang zu einer umweltfreundlicheren Zukunft. „So können immer mehr Dinge überwacht und gemessen werden, was uns die Möglichkeit gibt, eine nachhaltigere Umwelt zu schaffen“, sagt Zeng.
Der Vater zweier Kinder und passionierte Berg- und Wassersportler stammt aus Weißenfels – wie der Mechaniker Johann Ernst Zeiher, der Elektrotechniker Gustav Fleischhauer, der Flugzeugkonstrukteur Oskar Ursinus, der Pumpen- und Verdichter-Spezialist Gerd Grabow und der Raketenpionier Konrad Dannenberg. Sie alle waren – wie Zeng – Maschinenbauer. Sechs Männer, drei Jahrhunderte, ein Ziel: Fortschritt. Heute ist Thomas Zeng am Zug.