Bildungsurlaub bei der Polizei – LVB-Pressesprecher sammelt neue Erfahrungen
von Marc Backhaus | 05.12.2024
von Simone Liss | 12.03.2025
Kindererziehung, Hausarbeit, Pflege: Frauen wenden pro Tag im Durchschnitt 44,3 Prozent mehr Zeit für unbezahlte Fürsorge, auch Care-Arbeit genannt, auf als Männer. Umgerechnet sind das 79 Minuten Unterschied pro Tag. Dieser Unterschied wird als Gender Care Gap bezeichnet. Das Team Chancengleichheit der Leipziger Gruppe hat diese Kluft im Blick und sucht nach Lösungen für Mütter und Väter. Wie kann es gelingen, Beruf und Familie fair zu vereinbaren? Wir haben dieses Mal nach der Perspektive von Vätern gefragt, die ihre Partnerinnen und Partner unterstützen wollen und mit einem HR-Berater, einem IT-Manager und einem Energie-Experten der Leipziger Gruppe über ihre Ansprüche an sich selbst, Herausforderungen und Wünsche gesprochen. Was sie bewegt, lesen Sie hier.
Dieser Beitrag wurde am 12.03.2025 aktualisiert. Zu diesem Beitrag liegen hier Zusatzinformationen vor.
Blick nach vorn: Immer mehr Väter wollen präsenter im Leben ihrer Kinder sein und Verantwortung übernehmen.
Blick nach vorn: Immer mehr Väter wollen präsenter im Leben ihrer Kinder sein und Verantwortung übernehmen.
Ihre Lage könnte verschiedener nicht sein. Doch im Kern haben sie alle das gleiche Bedürfnis: Sie wollen für ihre Kinder da sein und trotzdem ihren Job machen – voll und ganz, ohne Wenn und Aber. Robert Riedel (44) ist Vater von drei Kindern und arbeitet in Teilzeit. Manfred Zacharias (53) ist verwitwet und alleinerziehender Vater von drei Kindern. Lars Weise (56) ist Vater eines schwerbehinderten, pflegebedürftigen jungen Mannes und teilt sich die Fürsorge mit seinem Ehemann. Drei Väter, sieben Kinder, zig Erwartungen, ein Arbeitgeber: die Leipziger Gruppe. Die Mehrheit ihrer 5.000 Beschäftigten sind Männer in Vollzeit. An vielen von ihnen zerren die Fliehkräfte der Gesellschaft: Sie sollen beruflich und privat präsent, leistungsbereit, engagiert, partnerschaftlich und rücksichtsvoll sein. Bisweilen ein Kraftakt für Riedel, Zacharias und Weise.
Beim Stichwort Vereinbarkeit wird häufig zuerst an die Mütter gedacht. Teilzeit, Elternzeit oder Job-Tandems sind hingegen bei Vätern nicht standardmäßig auf der Agenda. „Unternehmen haben verstanden, dass es nicht ohne die Väter geht, zumal, wenn wir die Frauen und Mütter im Job halten wollen. Väter brauchen Ermutigung. Das Top-Management sollte eine klare Haltung einnehmen und unter anderem auch beim Thema Elternzeit nicht zwischen Mann und Frau unterscheiden“, sagt Doreen Rödel, Chancengleichheits-Beauftragte der Leipziger Gruppe. „Man sollte die Väter fragen: Was braucht ihr, wie können wir euch unterstützen? Deshalb ermuntern wir alle Väter, zu reflektieren, was schon gut läuft und was noch nicht – was fehlt, damit Väter für ihre Bedürfnisse und Wünsche einstehen.“
Energie-Experte Manfred Zacharias
Der Wecker klingelt um 5.00 Uhr. Der Bus fährt um 6.46 Uhr. 90 Minuten für Bad, Frühstück, Waschmaschine programmieren, Einkaufszettel schreiben, Stundenplan checken, to-do-Liste aktualisieren, Geschirrspüler einräumen, Pausenbrote schmieren, Umarmung für den 11-Jährigen, Augenzwinkern für den 18-Jährigen, Schulterklopfen für den 23-Jährigen. Und los geht’s. Hirschfeld – Leipzig Hauptbahnhof: 40 Minuten, 23 Haltestellen. 23 Gelegenheiten, Unterrichts-, Dienst-, Schicht-, Sicherheits-, Termin- und Urlaubspläne abzugleichen. Danach zehn Gehminuten zum Gas- und Dampfturbinenkraftwerk der Leipziger Stadtwerke in die Eutritzscher Straße. Zehn Minuten zum Luftholen, Innehalten, Krafttanken. Um 7.45 Uhr beginnt die zweite Schicht für Zacharias. Auf den Kraftwerksleiter warten 23 Mitarbeiter, davon 18 im Drei-Schicht-System. Sie verlassen sich – wie seine drei Söhne – auf seinen wachen Verstand, seine Reaktionsschnelligkeit, seine Weitsicht.
Viel Verantwortung für einen Menschen. Und das seit fast acht Jahren, seit dem Tod seiner Frau. Wie schafft man(n) das alles? „Mit einem großzügigen Arbeitgeber, der Grenzen akzeptiert. Dem ich offen und ehrlich sagen kann, wenn ich mit meinen physischen und psychischen Kräften am Ende bin und eine Auszeit brauche. Der mich nicht infragestellt oder diskreditiert und für den meine Lebensumstände nicht Privatsache sind“, sagt Zacharias. „Und mit einem fairen Team, das Stärken und Schwächen respektiert. Mit Kindern, die Unvollkommenheit nicht nachtragen. Mit großer Dankbarkeit, Demut und dem Versprechen an mich selbst, nicht aufzugeben. Ich empfinde – nach allem, was ich erlebt habe, nach vielen tiefen und dunklen Momenten – eine solche Lebenslust, die mich trägt – von Schicht zu Schicht.“ Zacharias‘ letzte Schicht beginnt um 18 Uhr mit dem Abendessen und endet um 22.30 Uhr mit Dingen wie Wäschelegen, Formulare ausfüllen, Vorsorgetermine vereinbaren, Gemüse vorziehen oder Geburtstagsgeschenke organisieren. Und einem Augenzwinkern für den Mittleren. „Humor ist, wenn man trotzdem lacht“, sagt Zacharias.
HR-Berater Lars Weise
Das Lachen fällt Lars Weise nicht immer leicht. Die Bedürfnisse seines schwerbehinderten, pflegebedürftigen Sohns und die Interessen seines Arbeitgebers auszubalancieren, ist für den Personal-Dienstleister der Leipziger Verkehrsbetriebe oftmals mühsam. Ämtertermine kollidieren mit Präsenzveranstaltungen, Arbeitsproduktivität mit Arbeitszeitregeln, eigene Notwendigkeiten mit den Wünschen von Kollegen. „Die vielfältigen Beeinträchtigungen, die mein Sohn aufgrund seiner Schwerbehinderung hat, verlangen von meinem Mann und mir ein Höchstmaß an Flexibilität. Kein Tag ist bei meinem Sohn wie der andere. Ich muss jederzeit damit rechnen, dass ich meinen Sohn von der Schule abholen, zum Arzt fahren oder selbst betreuen muss, weil seine emotionale Instabilität sowie geringe Frustrationstoleranz zu Problemen führen“, sagt Lars Weise. „Vielen Menschen fällt es schwer, mit seinen Verhaltensauffälligkeiten, intellektuellen und motorischen Beeinträchtigungen sowie seinen autistischen Zügen umzugehen. Wir sind seine Bezugspersonen. Wir wissen, was er braucht und was ihm guttut. Doch die daraus resultierenden Arbeitsausfälle sorgen nicht selten für Unverständnis, Argwohn und Frust bei Kollegen und Vorgesetzten – was ich natürlich verstehe.“
Was Lars Weise helfen würde? „Flexible Arbeitszeitmodelle wie Gleitzeit, Teilzeit oder Vertrauensarbeitszeit. Ich arbeite beispielsweise gut und gern in den frühen Morgenstunden, zwischen vier und sechs Uhr oder in den späten Abendstunden – nach 20 Uhr. Oder am Wochenende, wenn mein Mann übernimmt und ich mal zwei Stunden ,Ruhe‘ habe. Meine Beratertätigkeit verträgt sich aber leider nicht vollumfänglich mit diesen Randzeiten“, sagt Lars Weise. „Ebenso hilfreich wäre es, regelmäßig Zeitslots für Behördengänge nutzen zu können – solange hierzulande keine digitale Antragsbearbeitung möglich ist. Nur, um Missverständnissen vorzubeugen: Ich möchte diese Zeit nicht geschenkt haben, sondern meine Arbeitszeit dafür verschieben dürfen.“
Was es bedeutet, wenn man arbeiten will, aber nicht so arbeiten kann wie man will, hat Lars Weise 2010 am eigenen Leib erfahren. „Ich bin in eine Belastungsdepression gerutscht und ein dreiviertel Jahr ausgefallen. Seitdem brauche ich länger, um zu regenerieren. Dauerhaft hundertfünfzig Prozent Zuhause und hundert Prozent auf Arbeit zu geben – das geht nicht auf. Mir das einzugestehen und vor meinen Vorgesetzten und Kollegen zu vertreten – ohne dabei ein schlechtes Gewissen zu haben – das hat mich Überwindung gekostet.“
Doreen Rödel, Chancengleichheits-Beauftrage der Leipziger Gruppe
Überwindung ist ein gutes Stichwort. Es gilt nicht nur, persönliche Hürden zu überwinden, sondern auch betriebliche Strukturen zu ebnen. Zwar hat nach Angaben der Bundesarbeitsagentur die Zahl der sozialversicherungspflichtig beschäftigten Frauen einen neuen Höchststand erreicht. Zum Stichtag 30. Juni 2024 waren 16,2 Millionen Frauen sozialversicherungspflichtig beschäftigt, 92.000 mehr als ein Jahr zuvor. Doch das Beschäftigungsplus der Frauen entfällt ausschließlich auf Teilzeitbeschäftigte, deren Zahl im Vorjahresvergleich um rund 121.000 stieg. Damit arbeiten erstmals mehr Frauen in Teilzeit (50,3 Prozent) als in Vollzeit (49,7 Prozent). Bei den Männern fällt der Teilzeitanteil mit 13,4 Prozent weiterhin deutlich niedriger aus.
Doch Väter verbringen mehr Zeit mit der Kinderbetreuung als früher. Im Jahr 2022 betreuten Väter in Deutschland im Schnitt 1 Stunde und 19 Minuten pro Tag die Kinder, wie das Statistische Bundesamt nach Ergebnissen der Zeitverwendungserhebung 2022 mitteilte. Zehn Jahre zuvor hatten Väter laut Zeitverwendungserhebung 2012/2013 insgesamt noch durchschnittlich 51 Minuten täglich mit der Kinderbetreuung verbracht. Trotz des Anstiegs verbringen Väter nach wie vor deutlich weniger Zeit mit Kinderbetreuung als Mütter. Diese wendeten 2022 durchschnittlich 2 Stunden und 18 Minuten pro Tag dafür auf und damit rund eine Stunde mehr als Väter.
„Die gute Nachricht ist aber: In allen unseren Befragungen sagen Väter, sie würden mehr Zeit für ihre Kinder verwenden wollen“, sagt die Soziologin und Präsidentin des Wissenschaftszentrums Berlin für Sozialforschung, Jutta Allmendinger. „Aufbruchstimmung und Veränderungsbereitschaft sind also da.“ Der Status quo sei unter anderem auf Traditionen und Kulturen in Unternehmen zurückzuführen.
„Auch wenn immer mehr Unternehmen Vereinbarkeitsangebote machen, ist es für Väter aufgrund eingefahrener Rollen- und Karrieremodelle immer noch schwer, Erwerbsarbeit und Familienarbeit unter einen Hut zu bringen. Insbesondere wenn sie Führungsverantwortung tragen, stoßen sie noch häufig auf Barrieren“, sagt Doreen Rödel. „Teilzeitchefs sind nach wie vor die Ausnahme, und die Befürchtung eines Karriereknicks hält viele Väter davon ab, ihre Arbeitszeit zu reduzieren. Eine Vertrauenskultur, die sich an Ergebnissen statt an Präsenz orientiert, die Akzeptanz neuer Rollenbilder sowie männliche Führungskräfte, die mit gutem Beispiel vorangehen, können Väter ermutigen, die gewünschte Partnerschaftlichkeit umzusetzen.“
Eine attraktive Möglichkeit der Vereinbarkeit für Väter sei die 2019 eingeführte Brückenteilzeit: Beschäftigte können ihre Arbeitszeit für einen bestimmten Zeitraum (ein bis fünf Jahre) reduzieren und danach wieder zur ursprünglichen Arbeitszeit zurückkehren. Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitgeber in der Regel mehr als 45 Beschäftigte hat und dass das Arbeitsverhältnis länger als sechs Monate besteht.
IT-Manager Robert Riedel
„Ich will nicht werden, was mein Alter ist!“, sang Rio Reiser 1971 auf dem ersten Studioalbum der Band „Ton Steine Scherben“ – eine Absage an das Rollenmodell vom Vater als Familienoberhaupt, ewigen Malocher und Ernährer und an eine Generation von Männern, die das Kindergroßziehen weitgehend den Frauen überließ.
Für den Vater von Robert Riedel, geboren in den 1950ern, war die Entscheidung seines Sohns, nur noch 30 Stunden die Woche zu arbeiten, Elternzeit zu nehmen und zur Einschulung seiner Tochter vier Monate auf eigene Kosten aus dem Job auszusteigen, unvorstellbar. Auch für seinen Bruder ist Robert Riedel ein Exot. „Ihre Wertvorstellungen sind sehr konservativ – was für mich kein Problem ist. Nur habe ich für mich andere Prämissen gesetzt. Meine Mutter feiert mich dafür. Sie war Lehrerin an einer Hauptschule in Berlin-Marzahn. Für uns Jungs blieb nicht viel Zeit. Wir sind in der Nachwendezeit großgeworden und waren größtenteils uns selbst überlassen. Das hat meine Mutter oft bedauert. Dass ich heute andere Vorstellungen von Partnerschaft, Familie, und Arbeit habe, sieht sie positiv“, sagt Robert Riedel, IT-Manager bei den Leipziger Wasserwerken, Vater einer Teenagerin, eines Vorschulkindes und eines Kleinkindes.
„Als meine große Tochter zur Welt kam, war ich noch Student und saß mit ihr gemeinsam im Hörsaal. Der Start ins Berufsleben mit einem Kleinkind war eine Herausforderung. Ob bei Alba in Berlin oder Beiersdorf in Hamburg – überall wurde mir bedeutet, dass ich Prioritäten setzen solle: Karriere oder Kind. Als über dieser Gradwanderung auch noch meine Beziehung zerbrach, wurde ich nachdenklich.“ Was zählt im Leben? Was ist wichtig? Wie kann man sein Bedürfnis nach einer intakten Partnerschaft auf Augenhöhe, aktiver Vaterschaft, Arbeitszeitsouveränität und Selbstbestimmung verwirklichen, ohne sich zu verbiegen und zu verleugnen? „Gemeinsam mit meiner Frau, meiner Chefin und meinem Team habe ich einen Weg gefunden. Auch er ist manchmal steinig. Aber ich habe es nie bereut, ihn zu gehen. Heute übernehme ich in unserer Familie den Hauptteil der sogenannten Care-Arbeit und bin in Kita, Schule und sozialen Einrichtungen erster Ansprechpartner. Dass immer noch meine Frau angerufen wird, wenn’s Not tut, quittieren wir mit einem Augenzwinkern – viele Menschen können oftmals nicht aus ihrer Haut.“
Ebenso Unternehmen – große wie kleine. „Es ist wichtig, das Thema Väter auch über die Elternzeit hinaus anzugehen und die Unternehmenskultur dementsprechend anzupassen. Dazu gehört dann zum Beispiel eine gewisse Selbstverständlichkeit, dass Väter auch bei Bring- und Abholzeiten der Kinder zur Verfügung stehen, genauso wie die Rücksicht auf Väter bei der Terminkoordination mit Kunden. Es geht also darum, Väter und ihre Bedürfnisse in den Betrieben sichtbar zu machen“, sagt Riedel. Vereinbarkeit in Unternehmen sei keine „One size fits all“-Strategie. So individuell wie Lebenslagen seien, so individuell sollten auch Lösungen sein.
Diesen Blog-Beitrag haben wir ursprünglich am Internationalen Frauentag veröffentlicht und in verschiedenen sozialen Netzwerken gepostet. Das Datum sowie die Art und Weise des Postings haben eine kontroverse Debatte in der Community ausgelöst. Es ging in den meisten negativen Kommentaren weniger um den Inhalt des Blog-Beitrags, sondern um seine Platzierung am 8. März. Dies wurde als Provokation empfunden. Wir bedauern das Missempfinden und die Enttäuschung vieler User. Es war selbstverständlich nicht unsere Absicht, die Botschaft des Frauentags zu diskreditieren und das Engagement für Frauen und Ihre Rechte zu unterminieren. Wir haben deshalb bereits am 8. März um Entschuldigung gebeten. Wir haben aus der Kritik gelernt.
Doch unsere Absicht war natürlich: Chancengleichheit und Frauenrechte stärken. Der Gender Care Gap ist ein Fakt, den wir als Leipziger Gruppe nicht akzeptieren wollen. Ausgehend von einem Impuls vieler Väter in unserem kommunalen Unternehmensverbund, die im Zuge einer Podiumsdiskussion zum Internationalen Männertag 2024 darauf hingewiesen haben, dass gelebte Chancengleichheit und Gleichberechtigung auch ein mutiges Überschreiten tradierter Verhaltensmuster bedeutet und sie dieses aktiv unterstützen, ist dieser Blog-Beitrag entstanden. Wir haben aus den Rückmeldungen jedoch gesehen, dass es viel Kritik gab und sind nicht mehr überzeugt, dass der Internationale Frauentag der passende Anlass war, um darauf hinzuweisen, dass die Leipziger Gruppe allen Mitarbeitenden umfangreiche Möglichkeiten eröffnet, ihr Beruf- und Privatleben gut auszubalancieren.